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Geben und Nehmen zwischen Nord und Süd

Vortrag beim Jahresempfang der SPD in Stuttgart 14.01.2008

I. Fünfzig Jahre Hilfe: Hat alles nichts genützt?
II. 50 Jahre viel nehmen – wenig geben 
III. Fazit: Globale Armutsbekämpfung! 


I. Fünfzig Jahre Hilfe: Hat alles nichts genützt?

Wie Sie wissen: vertrete Spendenorganisation Entwicklungshilfe – Geben von Nord nach Süd also mein tägliches Thema.

Geben hatte dabei ethisches Motiv: Es knüpft an ein Wort Jesu, das Paulus überliefert hat: „Ich habe euch in allem gezeigt, dass man (…) sich der Schwachen annehmen und an die Worte des Herrn Jesus denken müsse, der selbst gesagt hat: Geben ist seliger als Nehmen“ (Apg 20, 35).

Als die evangelischen Kirchen vor fünfzig Jahren zur ersten Aktion „Brot für die Welt“ aufriefen, stand das Gebot, den Schwachen in der Not beizustehen und bedingungslose Hilfsbereitschaft zu üben, im Mittelpunkt. Aber es ging auch um Dankbarkeit für die empfangene ausländische Wiederaufbauhilfe, die ein Wirtschaftswunder möglich gemacht hat. Dank für unverdienten eigenen Wohlstand und Unterstützung für die Schwächsten, die sich nur deren Not schuldet und von Eigeninteressen und Bedingungen frei ist – darum ging es auch der SPD damals. Im Godesberger Programm von 1959 liest sich das so:„Die Entwicklungsländer haben Anspruch auf großzügige und uneigennützige Hilfe“.

Indes: die staatliche Entwicklungszusammenarbeit in Deutschland wie weltweit war bereits in der Nachkriegszeit alles andere als uneigennützig. Es war Kalter Krieg und die Märkte wurden unter den Wirtschaftsmächten des Nordens neu aufgeteilt. Der erste Entwicklungsminister Deutschlands, Scheel, nannte als die drei wesentlichen Ziele der Entwicklungshilfe: „die antikommunistischen Stabilisierung der Dritten Welt“, den „Kampf um diese größtenteils noch unterentwickelten Märkte’“, sowie die „Verteidigung des nationalen Alleinvertretungsanspruchs“. Mit anderen Worten: die Unterstützung unserer politischen und wirtschaftlichen Ambitionen. Kein Wort vom dankbaren und uneigennützigen Geben, damit Armut bekämpft und die Entwicklungsländer selbst auf die Beine kommen. Kein Wort von möglichen Interessenkonflikten zwischen den wirtschafts-, außen- und entwicklungspolitischen Anliegen der Geberstaaten. Erst Erhard Eppler hat als E-Minister die Entwicklungspolitik aus diesem diffusen Interessengeflecht herauszulösen und auf eine eigenständige Legitimationsgrundlage zu stellen versucht.

Seit dem Ende des Kalten Krieges und mit Beginn der neoliberalen Ära der Globalisierung taugen diese Motive nichts mehr. Entwicklungshilfe ist für die genannten eigenen Zwecke überflüssig geworden. Schon werden daraufhin Sinn und Zweck der Entwicklungshilfe überhaupt infrage gestellt (wobei zwischen staatlicher EZ und nicht-staatliche Entwicklungskooperation falscher Weise in einen Topf geschmissen werden). Entwicklungshilfe wird plötzlich an Zielen gemessen, die sie – wie eben dargelegt – nicht durchgängig oder prominent verfolgt hat!

Plötzlich heißt es: die staatliche Entwicklungshilfe der vergangenen fünfzig Jahre habe nicht geholfen, sei also nutzlos zur Armutsbekämpfung gewesen und damit überflüssig geworden: In den letzten fünfzig Jahren wurden – je nach Berechnungsgrundlage – 1,3 bis 2,5 Billionen US-Dollar öffentlichen Mittel in das Projekt Entwicklungszusammenarbeit investiert. Aber: In vielen Regionen Afrikas haben sich die Lebensverhältnisse seit den sechziger Jahren verschlechtert, rund 1,3 Milliarden Menschen leben in absoluter Armut, d.h. von weniger als einem US-Dollar am Tag, 854 Mio gelten als bedrohlich unterernährt. Das wirft in der tat Fragen auf, die eine Antwort verlangen. 

Das Geld versickere in den Taschen korrupter, sich selbst bereichernder Eliten im Süden. Oder in der Finanzierung ihrer Kriege. Oder in ineffektiven Bürokratien, heißt es. Die Völker und Menschen, hätten sich darauf ausgeruht, dass andere sie aushalten? Schädlich sei Entwicklungshilfe sogar gewesen, weil sie die Motivation und Fähigkeit zur Eigenverantwortung und die Selbsthilfekräfte des Südens gebremst hätten. Unser Geben mache abhängig und faul: Selbst Verantwortung für die eigene Armut übernehmen, sei jetzt die Devise. Fordern statt fördern hört man auch hinter diesem Ruf nach dem Ende globaler Sozialpolitik, denn nichts anderes ist Entwicklungshilfe ja. Raus aus der Hängematte und ohne Vorbehalte, Wenn und Aber rein in den Weltmarkt. Der globale Markt wird dann endlich richten, was Förderung nicht gewirkt hat. So lauten die Rezepte.

Was ist an den Argumenten dran, dass eigentlich schon viel zu viel gegeben und dass das Geben die Menschen im Süden faul gemacht hat und darum schädlich ist?

1. Ineffizienz, Überbürokratisierung und Selbstbereicherung von Eliten – sicher keine speziellen Probleme des Südens. Korruption ist ein echtes Problem, an dem gearbeitet werden muß. Aber es ist ein gemeinsames Problem. Gemeinsam in dem Sinne, dass es in Nord und Süd existiert und im dem Sinne, dass die Korruption der jungen Regierungen in den dekolonisierten Staaten zudem vom Norden zu Zeiten des Kalten Krieges massiv gefördert wurde. Die deutsche Entwicklungshilfe war im Zeichen der Hallstein-Doktrin Hebel der Blockpolitik: Entwicklungshilfemittel gegen Anerkennung des Alleinvertretungsanspruches der BRD! Um die jungen Regierungen der Entwicklungsländer im Systemkonflikt an sich zu binden, war West wie Ost gleichermaßen jedes Mittel recht. Die Regierungen in Ost und West wollten sie abhängig und korrupt und haben ihre Armeen übermäßig ausgerüstet, damit sie ihren geostrategischen Zwecken dienen. Wir haben ihre falschen Prioritäten auf Kosten der armen Bevölkerung nicht nur geduldet, sondern gefördert. Die Geberländer hat die Armutsbekämpfung nicht wesentlich interessiert – wie und warum sollte sie die von ihnen finanzierten Regierungen im Süden wesentlich interessieren?

2. Die These, dass die Hilfe nicht geholfen habe, beruhen zudem auf der fatalen Fehleinschätzung, dass die dazu eingesetzten Mittel die Armut in einer Welt mit 1,3 Milliarden absolut Armen tatsächlich abschaffen könnte. Im Vergleich: Bund und Länder in Deutschland haben seit der Wiedervereinigung 1990 bis 2004 jährlich 130 bis 160 Milliarden Euro in Infrastruktur und wirtschaftlichen Aufbau Ostdeutschlands gepumpt – also jährlich etwa das Doppelte bis Dreifache der gesamten weltweiten öffentlichen/zwischenstaatlichen Entwicklungsleistungen für den Süden (ODA) .„Blühende Landschaften“? Wie soll da eine Summe, die nur einem Drittel dieses jährlichen Transfers von Ost nach Westdeutschland entspricht, die Lebenssituation von insgesamt fast 3 Milliarden Armen im Süden nachhaltig verbessern?

Wie relativ spärlich die global aufgebrachten Entwicklungsmittel sind, zeigt auch der Vergleich mit den Rüstungsausgaben: So wurde mit Stolz gepriesen, dass bei den jüngsten Verhandlungen des Bundeshaushaltes der Etat des BMZ um 640 Millionen Euro auf 5,1 Milliarden aufgestockt werden konnte. Das ist in der Tat positiv. Indes: Der Verteidigungshaushalt für das nächste Jahr wuchs um mehr als 1 Milliarde und hat ein Gesamtvolumen von annähernd 29,5 Milliarden Euro. Weltweit ist 2006 die öffentliche Entwicklungshilfe sogar um 5,1 Prozent auf 103 Mrd US-Dollar gesunken. Die weltweiten Rüstungsausgaben aber sind um 3,4% auf nunmehr 1,2 Billionen US-Dollar im Jahr gestiegen. Fast dieselbe Summe, die in fünfzig Jahren Entwicklungszusammenarbeit insgesamt weltweit aufgewendet wurde! 

Wer wenig einsetzt, erreicht wenig und sollte darum auch wenig erwarten und nicht enttäuscht sein, wenn wenig passiert und dies Wenige dann auch noch schlecht machen.

Und schließlich und vor allem: Wie viel hat der Norden eigentlich gegeben im Verhältnis zu dem, was er genommen hat? Wer vom Geben der rechten Hand redet, sollte es auch mit dem Nehmen der linken Hand in Beziehung setzen.


II. 50 Jahre viel nehmen – wenig geben

„Es kommt nicht darauf an, den Menschen der Dritten Welt mehr zu geben, sondern ihnen weniger zu stehlen“, schrieb der Schweizer Sozialdemokrat und amtierender UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, das heute rund 850 Millionen Menschen vorenthalten wird, Prof. Jean Ziegler. Weniger drastisch, aber im Prinzip genau gleich hat der ehemalige SPD-Landesvorsitzende Erhard Eppler schon in seiner Zeit als Bundesentwicklungsminister auf das Missverhältnis im Geben und Nehmen zwischen Nord und Süd hingewiesen.

Lassen Sie mich Ihnen das an einigen aktuellen Beispielen verdeutlichen:

Beispiel Schuldendienst: Die Auslandschulden der Entwicklungsländer belaufen sich derzeit auf 2600 Milliarden US-Dollar weltweit. Nach Angaben der Weltbank flossen dafür im Jahr 2006 416 Milliarden US-Dollar an Tilgung und 123 Milliarden US-Dollar an Zinsen in die Industriestaaten zurück. 103 Mrd. weltweite Entwicklungshilfe standen dem gegenüber! Auf die ursprünglich 800 Mrd. Dollar Schulden aller Entwicklungsländer 1982 bei Geldgebern aus dem Norden wurden laut Weltbank bis 2003 3.400 Mrd. US-S an die Gläubiger zurückgezahlt.

Beispiel: Sonderwirtschaftszonen, auch Exportproduktionszonen genannt. Das sind Industriezonen in Entwicklungsländern – und neuerdings auch Osteuropa – in denen sich multinationale Unternehmen ansiedeln sollen. Um einen Anreiz für sie zu schaffen müssen sie keine Steuern, sonstigen Gebühren und Abgaben für Infrastruktur etc. an den ‚gastgebenden’ Staat zahlen. Die Entwicklungsländer räumen diese Sonderbedingungen unter großem Druck der Investoren ein, um überhaupt Arbeitsplätze zu schaffen. Nach Angaben der ILO sind heute in rund 2000 Exportproduktionszonen in Entwicklungsländern 27 Millionen Menschen beschäftigt. Zu 90 % handelt es sich um Frauen. Sie müssen dort unter teilweise menschenunwürdigen und sklavenartigen Bedingungen für Löhne arbeiten, die nicht ausreichen, um die Familie zu ernähren. Regierungen wie die von Bangladesch und Pakistan verbieten dort jegliche Gewerkschaft; China wird der Einsatz von Zwangsarbeitern in der Exportindustrie vorgeworfen. Zudem arbeiten nach Schätzungen der Weltbank mehr als 15 Millionen Kinder in Exportproduktionszonen. Ein großer Teil der Arbeitsplätze, die aus Europa wegverlagert wurden, finden sich in solchen Sonderwirtschaftszonen wieder. Die Gewinne, die multinationale Konzerne in Exportproduktionszonen durch die ihnen gewährten Steuererleichterungen werden auf mindestens 75 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt. Das entspricht 2/3 der weltweiten jährlichen Entwicklungsausgaben von 103 Mrd. 

Beispiel Kapitalabfluss : Dazu kommen weitere 540 Milliarden US-Dollar, die jährlich in Form von Schwarzgeld, d.h. steuerflüchtigem Kapital, aus den Entwicklungsländern in die Industrieländer fließen. Der überwiegende Anteil entsteht durch Steuervermeidungstricks transnationaler Konzerne mit Sitz im Norden: Die Steuerflucht von finanzkräftigen Anlegern in Steuerparadiese hinzugenommen, geht den Entwicklungsländern durch Steuerhinterziehung seitens nördlicher Akteure so viel Geld verloren, wie sie für die Erreichung UN-Entwicklungsziele brauchen würden – schätzt ein Bericht über neue Finanzmittel für Entwicklung, den noch Jacques Chirac 2005 in Auftrag gegeben hatte.

Beispiel: Agrar-Exportsubventionen und Liberalisierung des weltweiten Agrarhandels: In einem Interview sagte Erhard Eppler schon 1992 (ZEIT vom 01.05.92): „Die Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft richtet im Süden mehr Unheil an, als unsere Entwicklungshilfe gutmachen kann.“ (Erhard Eppler, in: DIE Zeit Nr. 19). Das ist leider mehr denn je wahr:

In der EU wird noch bis 2013 die Landwirtschaft und der Export von Agrarprodukten subventioniert. Das sollen die Regierungen der Entwicklungsländer bereits nicht mehr dürfen: Europa und USA drängen darauf, dass sie ihre Produktion nicht stützen ihre Märkte nicht schützen sollen. Denn Europa und die USA wollen ihre subventionierte Überproduktion schließlich dorthin exportieren und geben darum auch noch zusätzlich Fördermittel für den Export. Das soll unserer Landwirtschaft helfen. Aber das tut es nur teilweise: Von den Agrarsubventionen in Deutschland profitieren wesentlich die Großbetriebe in Ostdeutschland und in NRW, während die kleinbäuerliche Landwirtschaft – z.B. in Baden-Württemberg – das Nachsehen hat. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Baden-Württemberg halbiert. Die Subventionen fördern nicht den Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft. Sie fördern vielmehr die Industrialisierung der Landwirtschaft und die Massenproduktion für den Export. Und das gilt für Deutschland, für Europa und weltweit. Und es geht auf Kosten der Kleinbauern – bei uns und im Süden. 40% der weltweit Hungernden sind indes Kleinbauern! 

Seit 1995 schreibt das Agrarabkommen der Welthandelsorganisation (WTO) allen Mitgliedsländern vor, ihre Märkte schrittweise zu öffnen. Kleinbauern in wenig entwickelten Ländern müssen Nahrungsmittel unter ungünstigen klimatischen Verhältnissen mit einer schlechten Infrastruktur produzieren. Damit haben sie ohnehin kaum Exportchancen. Werden deren eigene Märkte auch noch geöffnet, treten sie in eine globale Konkurrenz mit den kostengünstigsten Anbietern. Das sind in der Regel Anbieter aus dem Norden, die staatliche Subventionen für diesen Preiskampf bekommen. So tauchen europäische Molkereiprodukte oder Hühnchen, seit einigen Wochen auch Schweinefleisch aus Deutschland oder Dänemark oft unschlagbar günstig auf die lokalen Märkte Afrikas auf, ebenso wie Reis aus Thailand oder Vietnam. Wenn Entwicklungsländern das Schutzrecht für ihre eigenen Märkte ohne große Übergangszeiten abgesprochen wird, sterben bäuerliche Betriebe unter diesem Konkurrenzdruck massenhaft. Und das geschieht zur Zeit z.B. in Westafrika. Die Öffnung der Agrarmärkte verstärkt die Abhängigkeit der Entwicklungsländer von Lebensmittelimporten. In den 60er-Jahren haben sie noch Lebensmittel exportiert. Seit der neuen Phase der Globalisierung Anfang der 90er-Jahre müssen sie Lebensmittel importieren. Die am wenigsten entwickelten Länder importierten Ende der 90er-Jahre bereits doppelt so viel wie sie exportierten – Tendenz steigend. Und die Deviseneinnahmen, die für den Import von Lebensmitteln eingesetzt werden, können nicht mehr zur Förderung eigener Entwicklung investiert werden. Die Reduzierung der Zolleinnahmen fehlt obendrein für wichtige Sozialleistungen und Investitionen in die Infrastruktur. Wie war die These: Entwicklungshilfe macht abhängig und raubt die Eigeninitiative???? 

Beispiel Klimawandel: Der durch den Ausstoß von Kohlendioxid, also durch unseren wirtschaftlichen Aufstieg der letzten Jahrzehnte, entstandene weltweite Klimawandel ruft bekanntlich immer mehr und immer katastrophalere Naturkatastrophen hervor. Und das nicht erst morgen: heute! Und sie treffen die armen Regionen überdurchschnittlich: 95% der vom Klimawandel verursachten Naturkatastrophen seit 2000 betrafen arme Länder, und hier vor allem die arme Bevölkerung: Menschen, die weder die Mittel noch die Möglichkeiten haben, Vorräte anzulegen und sich zu schützen oder ihre Lebensweise anzupassen. Menschen, die vom wirtschaftlichen Fortschritt, der mit dem ‚Klimaverbrauch’ erkauft wurde, nie profitiert haben, weil es unser und nicht ihr Fortschritt war. Gegenwärtig produzieren die Deutschen im Schnitt rund 10 Tonnen Treibgas pro Kopf jährlich, viele Afrikaner nicht einmal 300 Kilogramm. Während unsere Wirtschaft wuchs und wächst, wird den Ökonomien und öffentlichen Haushalten der Entwicklungsländer weiter die Luft abgelassen. Die Schadenssumme im Katastrophenfall beträgt das Zig-fache der Entwicklungshilfe. Die überlebensnotwendigen Anpassungskosten der Entwicklungsländer an die Auswirkungen des Klimawandels, d.h. die Kosten der Schadensbegrenzung, werden auf jährlich 35 Milliarden € geschätzt – ein Drittel der gegenwärtigen jährlichen weltweiten öffentlichen Entwicklungshilfe. Aber im Norden wird um die Anerkennung des Verursacherprinzips für die Klimaschäden und um die Übernahme der Kosten der Schadensbegrenzung und der Anpassung in den besonders betroffenen Entwicklungsländern geschachert. Als ginge es nicht um einen Anspruch auf Schadenskompensation, sondern um Almosen. Und wir wollen möglichst wenig an das Thema Emmissionsreduktion, Energiesparen- und Effizienz etc. heran. Baden-Württemberg ist ein Musterbeispiel für nicht ausgeschöpfte Potentiale in dieser Hinsicht! 

 

Wir sind bei unserer Bilanz von Geben und Nehmen schon bei vermutlich etwa einer Billion Dollar Zahlungen von Süd nach Nord jährlich angelangt. Dabei habe ich nur einige wenige Beispiele von möglichen vielen erwähnt! Dieser Billion stehen Entwicklungshilfezahlungen von Nord nach Süd von 103 Mrd. Dollar gegenüber. Sie ahnen, wie groß die Eigenanstrengung der Entwicklungsländer und ihrer Bevölkerung sein muss, dass sie in den vergangenen 50 Jahren nicht in noch viel tiefere Armut gesunken sind angesichts dieses permanenten Mittelabflusses aus dem Süden in den Norden! Die Bevölkerung – jedenfalls so weit ich das aus meiner Anschauung kenne – war in einer verzweifelten Weise fleißig und aktiv um ihr tägliches Überleben unter unsäglich schwierigen Bedingungen zu sichern, wie kaum einer bei uns es sich heute vorstellen kann. Ihr Überlebenskampf fordert ihre totale Energie – was gibt es da eigentlich noch mehr zu fordern statt fördern? Was wir fordern, ist letztlich nur ihre noch schrankenlosere Ausbeutung. Zynisch, wer da sagt Entwicklungshilfe hätte zuviel gefördert und zu wenig gefordert und darum nichts gebracht! Stimmt: effektive Armutsbekämpfung konnte Entwicklungshilfe nicht leisten – angesichts dieser Armutsförderung durch eine unfaire Außenwirtschafts-, Agrar-, Finanz-, Handels- und Umweltpolitik des Nordens. 


III. Fazit: Globale Armutsbekämpfung!

Sie werden nach dem Gesagten vielleicht verstehen, dass ich nicht nachvollziehen kann, warum Entwicklungszusammenarbeit, ein solidarisches Teilen und Geben, nicht länger geboten sein sollte und nicht, warum auch das Land Baden-Württemberg, einstiges entwicklungspolitisches Musterland, es inzwischen für opportun hält, sich weitgehend von der Entwicklungszusammenarbeit zu verabschieden.

  • Zweifelsohne ist wahr: Weniger nehmen als geben würde den Hauptbeitrag zur globalen Armutsbekämpfung leisten:
  • den Entschuldungsprozess für Entwicklungsländer konsequent weiterführen und ein internationales Insolvenzverfahren einführen,
  • die Umsetzung der ILO-Mindestarbeitsnormen mit Sanktionen bewehren und weltweit für Löhne nicht unterhalb der Lebenskosten einsetzen,
  • eine effektive Unternehmensbesteuerung statt Steuerbefreiungen oder Steueranreize für transnationale Investoren in international koordinierter Weise und die Einführung des automatischen Informationsaustausches zwischen den Finanzplätzen und den Steuerbehörden in den Heimatländern der Anleger,
  • Importerleichterungen aus dem Süden und gleichzeitig Zulassen einseitiger Schutzmechanismen für die Märkte schwächerer Handelspartner im Agrarbereich
  • drastische Reduktion der Pro-Kopf-Emissionen im Norden und Unterstützung (fördern, statt fordern!) der Entwicklungsländer und der besonders betroffenen Bevölkerungsgruppen in ihren Bemühungen, Klimaschutz und Anpassung an die Folgen des Klimawandels voranzubringen

 

Das alles und manches mehr würde die weitere Verarmung vieler Regionen aufhalten, ja den Menschen im Süden helfen, die Früchte ihre Eigeninitiative endlich selbst ernten zu können. Aber das Eintreten für eine faire Neuordnung der weltwirtschaftlichen Beziehungen und eine international verträgliche Gestaltung unserer Handels-, Außen-, wirtschafts- und Sicherheitspolitik ist keine Alternative, sondern eine notwendige Ergänzung zur Entwicklungshilfe: Das eine tun, und das andere nicht lassen! Aus moralisch-ethischen Gründen, die aus christlicher Sicht und aus der Solidaritätstradition der Sozialdemokratie nach wie vor nicht klein zu reden sind.

Auch lehrt die Erfahrung im eigenen Land gerade der letzten Jahre, dass Armutsbekämpfung eben nicht dem Markt allein überlassen werden kann, sondern die Schwächsten immer besonderer Aufmerksamkeit und Schutz des Staates und besonderer Stützung bedürfen. Und darum geht es auch bei der Debatte darum, ob Entwicklungshilfe noch sinnvoll ist, oder abgeschafft gehört.

Wir müssen erkennen, dass die Dynamik neoliberaler Globalisierung auf globaler und nationaler Ebene bei uns zu ähnlichen ökonomischen Umverteilungsprozessen und sozialen Verwerfungen führt. Und der populistische Ruf nach Abschaffung der Entwicklungshilfe ist kein anderer als der nach Abbau öffentlicher Daseinsfürsorge. Die Diskussion um die Sozialpolitik verläuft in ähnlichen Bahnen wie die um die Entwicklungspolitik, sprich: Weltsozialpolitik, die Diskussion um Mindestlöhne wie die um die Durchsetzung der Arbeitsnormen und existenzsichernder Gehälter weltweit. Und sie hängen zusammen und können nicht mehr getrennt geführt werden. 

Wir erleben gegenwärtig einen verschärften Umverteilungsprozess von arm nach reich, zwischen Nord und Süd, aber auch innerhalb eines jeden Landes in Nord und Süd infolge der Öffnung der Märkte weltweit, des schrankenlosen Verkehrs von Waren, Geldern, Menschen. Wir sind im Norden wie im Süden Betroffene derselben wirtschaftlichen Entwicklung weltweit. In diesem Sinne ist es sicher richtig, überkommene Bilder vom reichen Geberkontinent Europa und den armen, aber dankbaren und abhängigen Nehmern im Süden abzulegen. Der Abbau von Schutzmechanismen für Ökonomien und die Infragestellung der Geltung sozialer und wirtschaftlicher Menschenrechte für Arme im Interesse ungehemmterer Verdienste, der Teile der Weltgesellschaft und Gesellschaft, die dank günstiger Ausgangsbedingungen auf dem Weltmarkt eine Vormachtstellung haben und ihre Gewinne ausbauen wollen, sollen legitimiert werden – bei uns wie weltweit. Zwei Seiten einer Medaille.

Wenn wir nicht gegen Dumpinglöhne, Sonderwirtschaftszonen und unbeschränkte Ausbeutung im Süden eintreten, die alles grenzenlos billig machen, fällt das auf uns zurück als Arbeitsplatzabbau und Lohndrückerei. Wir müssen Armut global bekämpfen und das als ein und denselben Kampf verstehen. Arbeitsplätze vagabundieren um den Globus, auf dem Arbeitsmarkt nicht benötigte Arbeitskräfte vagabundieren um den Globus (sog. Wirtschaftsflüchtlinge). Auch unsere Solidarität muss Beine kriegen und um den Globus eilen, wenn wir hier unsere Arbeitsplätze und unseren sozialen Frieden erhalten wollen und die Welt zukunftsfähig sein soll.

Wir sollten es und darum auch nicht leisten, Entwicklungshilfe gegen Hilfe für die Armen bei uns gegeneinander auszuspielen. Der vom Gemeinderat in Stuttgart auf Antrag der SPD beschlossene billige Mittagstisch für Kinder von ALG II-Empfängern etc. in Kitas und Schulen, den ich sehr gut finde, sollte nicht ausgespielt werden gegen Schulspeisungen im Süden – und umgekehrt. Warum die Armen gegeneinander ausspielen? Arme und Schwache weltweit und im eigenen Land brauchen – neben fairen und gerechten Bedingungen des Wirtschaftens – besondere Unterstützung, öffentliche Daseinsfürsorge. Sie brauchen – mit christlich-ethischen Worten gesprochen – uneigennützige Barmherzigkeit und Mildtätigkeit, Hilfe zur Selbsthilfe. Denn der Markt ist dafür nicht geschaffen.