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Entwicklungshilfe abschaffen?

 Beitrag für die Zeitschrift Zeitzeichen 4/2012
C. Füllkrug-Weitzel

Unbehagen an der „Entwicklungshilfe“ ist fünf Jahrzehnte nach ihrem Beginn mehr ‚in‘, denn je. Die Zunahme des Hungers in der Welt und das drohende Scheitern der Millennium-Entwicklungsziele legen dies nahe.

„Die Geschichte der Entwicklungspolitik ist eine Geschichte des Scheiterns von Illusionen,“ sagte in den 70er Jahren schon ein Abteilungsleiter im Bundesentwicklungsministerium, Winfried Böll. Schon damals also, schon immer , wurde der Versuch, mittels Entwicklungshilfe die Lage der Armen in Afrika, Asien und Lateinamerika zu verbessern, kritisch begleitet – auch, oder gerade von reflektierten Entwicklungspolitikern und -praktikern selbst. Der Zweifel, ob Entwicklungshilfe wirkt, ist nicht neu, in den vergangenen Jahren aber massiver geworden. Das wirft einige Fragen auf:

So populär die Rede von der Wirkung von Entwicklungshilfe geworden ist, wo wenig wissen wir letztlich darüber, wie Projekte der Entwicklungszusammenarbeit eigentlich wirklich wirken. Jedenfalls, wenn wir uns nicht auf technische Messgrößen beschränken (wie die meisten Evaluationen es leider tun) und nur die unmittelbaren Ergebnisse eines Projekts (output) ermitteln, sondern wenn uns die beabsichtigten sowie unbeabsichtigten sozialen, wirtschaftlichen, politischen, kulturellen Wirkungen (impact) über dieses Ergebnis hinaus interessieren. Entwicklungsprojekte werden noch viel zu selten auf ihre umfassende Wirkung untersucht – und geplant.

Vielen Kritikern hätte in den vergangenen Dekaden wohl vorgeschwebt, mithilfe der Entwicklungszusammenarbeit ganze Regionen und Kontinente aus der Armut heraus zu führen. Aber kann von der Entwicklungszusammenarbeit überhaupt erwartet werden, makroökonomische Strukturen aus den Angeln zu heben? „Our dream is a world without poverty“ – dieses Motto prangt in der Eingangshalle der Weltbank als größtem Entwicklungsfinanziers der Welt. Einmal abgesehen davon, dass gerade die neoliberalen politischen Rezepte, denen die Weltbank jahrzehntelang folgte, die Situation der Armen in vielen Ländern eher verschlimmert haben, darf bezweifelt werden, dass entwicklungspolitische Organisationen, wie groß und mächtig sie auch sein mögen, überhaupt dazu in der Lage sind, eine Welt ohne Armut zu schaffen. Ein großer Teil der Fundamentalkritik an der Entwicklungszusammenarbeit hängt mit übertriebenen, unrealistischen Erwartungen zusammen. Kritiker, aber gelegentlich auch die Befürworter, überschätzen die Möglichkeiten der Entwicklungshilfe oft maßlos.

Den Menschen, die durch die pauschale Infragestellung der Entwicklungshilfe verunsichert sind, möchte ich sagen: Die Unterstützung von Menschen, Organisationen und Projekten in den Ländern des Südens hat in vielen Bereichen für die betroffene Bevölkerung tatsächlich eine Menge bewirkt – etwa beim Ausbau sozialer Dienste wie Bildung, Gesundheit und Wasserversorgung, bei der Unterstützung benachteiligter Gesellschaftsgruppen oder bei der Stärkung von Menschen- und Frauenrechten. Es ist nicht zu bestreiten, dass eine partnerschaftliche Zusammenarbeit vielfältige Verbesserungen für die Lebensbedingungen von Millionen Menschen an vielen Orten der Welt bewirken konnte und damit vielen konkreten Einzelnen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht wurde. Das gilt besonders dann, wenn die Menschen selber Erfinder, Planer und Akteure dieser Projekte waren und sie nicht von internationalen Organisationen, Regierungen oder gutwilligen Helfern aus dem Norden aufgedrängt oder übergestülpt wurden. Zu den anerkannten Erfolgsfaktoren der Entwicklungshilfe gehört, dass nicht wir den Süden, sondern politisch Verantwortliche und Zivilgesellschaft im Süden ihre Wege aus der Armut und Rechtlosigkeit definieren und selbst beschreiten – mit lediglich finanzieller Starthilfe unsererseits.

Aber natürlich sind Armut und Hunger in der Welt trotz aller Bemühungen der letzten 50 Jahre nicht aus der Welt geschafft. Woran liegt das? Diese Frage darf gestellt werden, sie muss sogar gestellt werden, um sich über die Ursachen von Armut und Hunger klarer zu werden und zu verstehen, welchen Beitrag zu einer anderen und gerechteren Welt die Entwicklungszusammenarbeit überhaupt leisten kann.

Meine zentrale These lautet hier: Dass in unserer reichen Welt noch immer über 900 Millionen Menschen an Hunger leiden, liegt nicht daran, dass die Entwicklungspolitik schlecht gedacht oder gemacht wäre. Es liegt daran, dass die Entwicklungspolitik im Gesamtzusammenhang der nationalen und internationalen Politiken nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die Marginalität entwicklungspolitischen Handelns im Vergleich zu anderen Politikfeldern, die Bedeutungslosigkeit der globalen Armutsbekämpfung als durchgängiges Interesse aller Politik – das ist das Problem!

Dabei geht es zum einen natürlich auch ums Geld: Die öffentlichen Mittel, die in den letzten fünfzig Jahren in das Projekt „EZ“ investiert wurden, belaufen sich, je nach Berechnungsgrundlage, auf 1,3 bis 2,5 Billionen US-Dollar. Wer kann erwarten, mit dieser Summe Armut in der Welt tatsächlich umfassend abschaffen zu können? Bund und Länder in Deutschland haben seit der Wiedervereinigung jährlich zwischen 130 und 160 Milliarden Euro – und damit mehr als das Doppelte der damaligen weltweiten Entwicklungsleistungen – für Infrastruktur und wirtschaftlichen Aufbau Ostdeutschlands bereitgestellt haben – ohne dass sich für 14 Millionen Ostdeutsche die versprochenen „blühenden Landschaften“ bis heute realisiert hätten. Wie kann man dann vernünftigerweise erwarten, dass nur ein Teil dieser jährlichen Transfersumme die Lebenssituation von insgesamt mehr als drei Milliarden Armen auf diesem Planeten nachhaltig verbessern könnte?

Und: Während 2007 die weltweite öffentliche Entwicklungshilfe gegenüber dem Vorjahr um mehr als 8% auf 103 Milliarden US-Dollar gesunken ist, sind die weltweiten Rüstungsausgaben um 6% auf nunmehr 1340 Milliarden US-Dollar im Jahr gestiegen – ohne lebensdienlich zu sein und mit verheerenden Wirkungen auf Entwicklungserfolge in Spannungs- und Konfliktgebiete.

Entwicklungspolitische Maßnahmen werden kontinuierlich von anderen Politikbereichen konterkariert – etwa der Finanz-, Handels-, Außenwirtschafts- oder Sicherheitspolitik. Entwicklungsfördernde Kohärenz aller Politikfelder – so lautet das Gebot der Stunde! Denn die Wirksamkeit der Entwicklungspolitik ist entscheidend von der Entwicklungsfreundlichkeit anderer Politikfelder abhängig. Kirchliche und zivilgesellschaftliche Organisationen weisen seit Jahren mit Nachdruck darauf hin, wie sehr zum Beispiel die Agrarexportpolitik der EU oder die Rüstungsgeschäfte des Nordens entwicklungspolitische Intentionen konterkarieren. In den letzten Jahren traten zudem die verheerenden Folgen unseres immer noch zu wenig gebremsten CO2 Ausstoßes auf das Klima und damit auf die landwirtschaftliche Produktivität großer Regionen im Süden ins Blickfeld. Und neuerlich beobachten wir, wie immer mehr Kleinbauernfamilien, die das Rückgrat der Welternährung darstellen, im Wortsinne der Boden unter den Füßen entzogen wird, mit dem sie die Landbevölkerung z.B. in Afrika ernähren (Landgrabbing) – um dort noch mehr Nahrungsmittel für unsere Mülltonnen, oder Energiepflanzen zu produzieren. Die eine Hand gibt Almosen, mit der anderen verweigern wir einen fairen Zugang zu Märkten und Handelschancen, plündern die Ressourcen der armen Regionen und Menschen, heizen Gewalt und Klima bedingte Naturkatastrophen an.

Die Zukunftsaufgabe der Armutsbekämpfung kann nicht alleine der Entwicklungspolitik aufgebürdet werden. In der öffentlichen Kritik an der EZ wird die Frage, wie die Länder des Südens Armut und Abhängigkeit überwinden können, oftmals mit der Frage verwechselt, was die EZ leisten kann und soll. Diese beiden Fragen auseinander zu halten, wäre ein erster nötiger Schritt, um die unglückliche Gemengelage der entwicklungspolitischen Fundamentalkritik zu entwirren.

Als Direktorin des kirchlichen Hilfswerks „Brot für die Welt“ möchte ich abschließend auch darauf hinweisen, dass bei der Beurteilung von Sinn oder Unsinn von Entwicklungszusammenarbeit natürlich alles davon abhängt, an welchen Kriterien wir Erfolg oder Misserfolg der Entwicklungshilfe überhaupt messen. Die Wirkungen der Arbeit von „Brot für die Welt“ möchten wir jedenfalls nicht an volkswirtschaftlichen Wachstumsraten messen lassen, weil wir das für ein falsches, ja gefährliches Kriterium halten. Die Sinnhaftigkeit unserer Arbeit soll sich vielmehr daran zeigen, inwieweit sie menschliche Entwicklung zu befördern vermag. Dabei verstehen wir unter Entwicklung einen Prozess, der es Menschen ermöglicht, ihre Fähigkeiten zu entfalten und ihre Rechte zu verwirklichen, und der sie in die Lage versetzt, nachhaltig und gemeinschaftlich ein erfülltes und menschenwürdiges Leben zu führen. Selbst Entwicklung sollte somit nicht, wie dies das assistentialistische Modell der Entwicklungshilfe noch immer suggeriert, als Beseitigung eines Mangels begriffen werden, den die reichen Länder mithilfe von bereitgestellten Gütern, Geld oder Know-How bewerkstelligen.

Im Mittelpunkt kirchlicher Solidarität mit den Armen stehen die Menschen, jede/r Einzelne, und die Stärkung ihrer Handlungspotenziale. Für mich ist es überhaupt keine Frage, dass es auch in Zukunft zu unserer Verantwortung als Christen und Kirchen gehört, im Zusammenhang der weltweiten Ökumene zu denken und zu handeln und unsere Partner bei ihrem Einsatz für bessere Lebensbedingungen zu unterstützen.