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„Frieden ohne Gerechtigkeit?“

Statement Cornelia Füllkrug-Weitzel für die Tagung
in der Evangelischen Akademie Bad Boll, 10.-12. Oktober 2003

 „Wo fängt Frieden an? Spannungsfeld Menschenrechtsschutz, Zivile Konfliktbearbeitung und Entwicklungszusammenarbeit.“

Vorbemerkung:

Friedenssicherung in der gegenwärtigen Welt ist ein komplexes Programm, das eine Mehrzahl von Strategien verbindet: Strategien der Abrüstung, der Bildung von Sicherheitsbündnissen, der Etablierung supranationaler Organe der Friedenssicherung, der strukturellen ökonomischen, ökologischen und politischen Kooperation, der staatlichen wie der zivilgesellschaftlichen Menschenrechtspolitik und der distributiven Gerechtigkeit enthält. Diese Strategien könnten sich zu einem Friedensprozess verbinden, durch den die materialen Voraussetzungen gewaltfreier Koexistenz von Menschen, Gruppen und Staaten weltweite Verbreitung finden, so dass es mit dem „heillosen Kriegführen“ irgendwann einmal ein Ende haben wird. (Wolfgang Kersting, Globale Sicherheit und Internationale Gerechtigkeit, in „Wieder Krieg“, Kursbuch Heft 126, Dezember 1996, S. 153, 167).

Bis es freilich so weit ist, werden wir mit Bruchstücken und Widersprüchen leben und arbeiten müssen, von denen nachstehend die Rede sein soll. Brot für die Welt verortet sich dabei in den zivilgesellschaftlichen Bemühungen in den Bereichen der Menschenrechtspolitik, der Friedensarbeit und der distributiven Gerechtigkeit, indem sie die zivilgesellschaftlichen Träger im Süden stärkt und unterstützt und die Träger staatlicher und suprastaatlicher Macht und Gewalt an ihre in zahlreichen Konventionen eingegangenen Verpflichtungen erinnert und zur Einlösung der Versprechen internationaler Konferenzen drängt, die eine Welt ohne Furcht und Not anstreben.

Was heißt Frieden? Wie definiert man Frieden?

 Georg Picht hat drei Parameter des Friedens definiert, die unauflöslich ineinander gefügt sind: „Frieden ist Schutz gegen innere und äußere Gewalt; Frieden ist Schutz vor Not; Frieden ist Schutz der Freiheit. Diese Parameter hängen derart zusammen, dass jede politische Ordnung friedlos sein muss und Gewalt erzeugt, die einen dieser Parameter unterschlägt.“ (Georg Picht, Was heißt Frieden?, in Senghaas, Den Frieden denken, 1995, S. 194)

Die Denkschrift der Kammer der Evangelischen Kirche in Deutschland für den Kirchlichen Entwicklungsdienst bezeichnete 1973 den Einsatz für Gerechtigkeit in der ganzen Welt als einen wirkungsvollen Beitrag zum Frieden:

“… Denn im umfassenden Sinne der biblischen Verkündigung wie auch der politischen Wirklichkeit bedeutet Frieden mehr als das Ruhen von Waffen oder auch das ständig bedrohte Gleichgewicht hoch gerüsteter Mächte. Ungerechte Verhältnisse im innenpolitischen wie im weltpolitischen Bereich stellen eine ständige Bedrohung des Friedens dar. Die Friedensbemühungen der Menschen müssen daher die Suche nach mehr Gerechtigkeit und den Ausgleich der sozialen Spannungen durch weltweite Entwicklungsprogramme mit einschließen. Entwicklungsverantwortung, Eintreten für Gerechtigkeit und dauerhaften Frieden sind infolgedessen unmittelbar miteinander verknüpft.“

Diese Erkenntnisse wurden im ‚Konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung’ in den 80er Jahren von den Kirchen und christlichen Basisgruppen weltweit weiterentwickelt. Entsprechend wurde auf der 6. Vollversammlung des ÖRK Vancouver 1983, auf der der Konziliare Prozess beschlossen wurde, Sicherheit als ein Zusammenhang von ökonomischer, sozialer und politischer Sicherheit definiert und festgehalten, dass Sicherheit der Völker auch Sicherheit der Bevölkerung(en) im genannten dreifachen Sinn beinhalten müsse.

Für die Arbeitsfelder von Brot für die Welt beschreibt die Policyschrift „Den Armen Gerechtigkeit“ in Übereinstimmung mit den vorgenannten Begriffsklärungen und als Zusammenfassung einer über Jahrzehnte entwickelten Praxis und gewachsener Überzeugungen den Begriff des Friedens wie folgt:

(DAG, § 60) [...] Frieden ist mehr als Abwesenheit von Krieg. Er kann als Zustand definiert werden, in dem die Menschen auf physische und psychische Gewalt gegen sich selbst, gegen ihre Mitmenschen und gegen die natürliche Umwelt verzichten. Frieden bedeutet, dass alle Menschen an der Fülle des Lebens teilhaben können.“

Daraus folgt praktisch, dass „Brot für die Welt“ dazu beitragen will, dass extreme Ungleichheit überwunden wird und alle Menschen angemessene Lebensverhältnisse genießen können, die Ursachen von Krieg und Gewaltanwendung beseitigt werden, und die Erde auch nachfolgenden Generationen in ihrer Reichhaltigkeit erhalten bleibt. (DAG, § 56)

In unserer Länderarbeit zu Korea, den Philippinen, Sir Lanka, Zentralamerika, in Südafrika und in vielen anderen mehr machten wir die Erfahrung, dass wo immer wir mit einem der drei von Picht aufgezeigten Parameter begonnen hatten, idR mit der Entwicklungszusammenarbeit, dem Schutz von Not, die anderen Parameter fast zwangsläufig in unserer Arbeit hinzukamen.

2. Verhältnis Menschenrechtsschutz zur Entwicklungszusammenarbeit.

Die Aktion Brot für die Welt ist in den 44 Jahren ihrer Geschichte immer wieder mit der Frage konfrontiert worden, wie sie zum Frieden in den Regionen der Welt beitragen kann, in denen ihre Partnerorganisationen von politischer Gewalt und Repression und kriegerischen Konflikten heimgesucht wurden. Eines der erfolgreichsten und bekanntesten Plakate von BFDW aus den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts heißt denn auch: „Den Frieden entwickeln“: Zwei Hände halten einen Ballen Erde mit einem Setzling, der aus der Erde gewachsen ist. Das Bild zeigt einerseits die Verletzlichkeit von Friedensprozessen, und zugleich zeigt es, dass wir mit unseren Händen zu diesen Prozessen beitragen können.

Das markanteste – aber nicht einzige – Datum für die Begründung des Menschenrechtsengagements von Brot für die Welt ist der 11. September 1973, als vor dreißig Jahren die frei gewählte Regierung Chiles unter Salvador Allende durch das chilenische Militär unter General Pinochet und mit Billigung und Unterstützung der US-amerikanischen Regierung gewaltsam gestürzt wurde. Viele Partner von Brot für die Welt, die in der Graswurzel-Entwicklungsarbeit engagiert waren, wurden Opfer der Diktatur. Die Aktion Brot für die Welt wurde herausgefordert, sich mit ihren Partnern solidarisch zu zeigen, und hat diese Herausforderung angenommen. Aus diesem Engagement führt ein direkter Weg zur Schaffung des Referates Menschenrechte, das am 1.1.1977 seine Arbeit aufnahm.

Aber Chile ist nicht das einzige Land, wo Brot für die Welt über den engeren Entwicklungsauftrag hinaus für die politischen Menschenrechte seiner Partner tätig wurde – übrigens stets auf Bitten der Partnerorganisationen: der menschenrechtliche Partnerschutz wurde u.a. in Ländern wie Korea, Philippinen, Thailand, Indien, Vietnam, Kambodscha, Sri Lanka, Südafrika, Sudan, Kenia, Namibia, Zimbabwe, und in fast allen Ländern quer über den lateinamerikanischen Subkontinent hinweg in den letzten dreißig Jahren zu einem Markenzeichen des Engagements von Brot für die Welt. Das war nicht selbstverständlich und nicht ohne Widersprüche und Risiken für die Entwicklungszusammenarbeit zu leisten. Drei solcher Spannungsmomente will ich im Folgenden beschreiben:

1. In den meisten Ländern herrschte in den Siebziger und Achtziger Jahren die Doktrin der Nationalen Sicherheit, die von den Vereinigten Staaten von Amerika im Kampf gegen die Ausbreitung des Kommunismus weltweit propagiert wurde. Danach wurde der Einsatz für die Menschenrechte als subversive Tätigkeit gebrandmarkt. In vielen Fällen musste nach außen hin vermieden werden, dass eine enge Verbindung zwischen der Menschenrechtsarbeit des Menschenrechtsreferates des Diakonischen Werkes der EKD und der Entwicklungszusammenarbeit von Brot für die Welt bestand, um lokale Partner von BFDW nicht zu gefährden oder gegen ihren Willen in das politische Minenfeld der Menschenrechtsarbeit hineinzuziehen. Erst die demonstrative Menschenrechtspolitik der Carter-Administration hat langsam dazu beigetragen, dass dieser Antagonismus von Entwicklungs- und Menschenrechtsarbeit überwunden werden konnte.

2. Ein weiteres Spannungsmoment ergab sich aus der Notwendigkeit, neben der Professionalität der Entwicklungszusammenarbeit nun die eigene Fachlichkeit der Menschenrechtsarbeit zu entwickeln und deren eigene Prinzipien zu achten. Menschenrechtsarbeit wurde von vielen ‚Soli-Aktivisten’ in Deutschland, sei es in den Kirchen oder in säkularen Gruppen, oft als einseitige Parteinahme und Solidaritätsaktion für eine bestimmte Gruppe oder Befreiungs-Organisation oder politische Bewegung verstanden. Sehr deutlich wurde dies, als das Referat Menschenrechte Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger Jahre in Zusammenarbeit mit Pastor Groth von der VEM und Dr. Wolfgang Heinz als Researcher, dem Schicksal der Häftlinge der SWAPO nachspürte. Das Referat musste sich damals mit seinem Bemühen, konsequent an der Seite der Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu stehen, gegen den Vorwurf verteidigen, einer Befreiungsbewegung schaden zu wollen und damit dem Apartheid-Regime in Südafrika in die Hände zu arbeiten. Das Prinzip der Menschenrechtsarbeit, sich ohne Ansehen der Person oder Organisation um die Opfer staatlicher oder quasistaatlicher Gewalt zu kümmern, konnte nur mühsam verständlich gemacht werden.

3. Ein grundlegender Unterschied zur Entwicklungszusammenarbeit besteht darin, dass der Menschenrechtsschutz sich nicht in der Finanzierung der Arbeit von Partnern vor Ort erschöpfen konnte oder durfte. Menschenrechtsschutz bedeutet praktisch, dass die finanziellen, politischen und menschlichen Ressourcen unserer Organisationen, Kirchen, gesellschaftlichen und politischen Kräften mobilisiert werden, um Opfern politischer Repression in ihren Heimatländern den nötigen Beistand zu sichern. Dazu bedarf es des Zusammenspiels von so grundsätzlich unterschiedlichen Akteuren wie Aktionsgruppen, kirchlichen Arbeitsstellen, Ministerien und Parlamentariern bis hin zu den Organen der Vereinten Nationen oder supranationaler Zusammenschlüsse wie der Europäischen Union, des Europarates, der Organisation amerikanischer Staaten und so weiter. Wer zwischen so unterschiedlichen Akteuren das Zusammenspiel organisieren möchte, entfernt sich von einer Festlegung z.B. auf den sog. Graswurzelansatz, wie er in der Entwicklungszusammenarbeit lange Zeit Dogma war und wie er in der Arbeit für die Ärmsten der Armen bis heute propagiert wird. Mittlerweile ist allseits anerkannt (und auch im fortentwickelten Grundsatzpapier von Brot für die Welt ‚Den Armen Gerechtigkeit 2000’ festgehalten), dass Advocacy-Arbeit gegenüber nationalen Regierungen in Süd und Nord, sowie internationalen Organisationen incl. Weltbank etc. wesentlicher Bestandteil wirkungsvoller Entwicklungspolitik sein muss.

Die Handlungsfähigkeit im Bereich Menschenrechtsschutz hing und hängt von der Qualität und der Zahl der miteinander kooperierenden Organisationen und Akteure ab. Übereinstimmung gab es da ohne Probleme bei der Förderung der Menschenrechtsorganisationen im Süden. Diese aber brauchen handlungsfähige Partner im Norden. Die finanzielle Förderung der Menschenrechts-NRO im Norden stellt sich aber als immer schwierig und unter dem Vorbehalt der Ausnahmeregelung stehend heraus. Bis heute ist dieser Aspekt des Menschenrechtsschutzes völlig unzureichend geregelt und wird es wohl angesichts zurückgehender Mittel in der Entwicklungszusammenarbeit so bleiben. Dies ist eine der wesentlichen Schwachstellen im System des Menschenrechtsschutzes. Das Menschenrechtsreferat hatte beim Aufbau nationaler wie internationaler Infrastrukturen im Menschenrechtsschutz eine einzigartige Stellung inne, die leider nur von wenigen anderen Trägern mitunterstützt oder aufgegriffen wurde.

 Brot für die Welt ist keine Menschenrechtsorganisation im engeren Sinne. Jedoch sind durch die jahrzehntelange Förderung von Menschenrechtsorganisationen im Süden langjährige Partnerschaften entstanden, sodass neben der finanziellen Ausstattung dieser Organisationen ein besonderes Augenmerk auf die Begleitung und den Schutz der Menschenrechtsverteidiger und Menschenrechtsverteidigerinnen gelegt wird. Dazu brauchen wir die Kooperation mit den eigentlichen Menschenrechtsorganisationen, die über das Wissen und die Zugänge verfügen, die dafür benötigt werden.

 3. Verhältnis Zivile Konfliktbearbeitung zu Menschenrechtsschutz und Entwicklungszusammenarbeit.

 Die gleiche Feststellung muss getroffen werden, wenn es um das Arbeitsfeld Friedens- und Konfliktarbeit geht. Brot für die Welt ist keine Fachorganisation für diese neue Aufgabe, aber sie stellt für Organisationen der zivilen Konfliktbearbeitung im Süden die notwendigen finanziellen Mittel bereit, während im Team Menschenrechte die fachliche Zusammenarbeit mit den Experten und Fachorganisationen, zB im Rahmen der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung organisiert und gewährleistet wird.. Durch die Zusammenarbeit mit unseren Süd-Partnern werden wir Zeugen gewaltsam ausgetragener Konflikte und sind insofern mitbetroffen, als unsere Anstrengungen zur Entwicklung und zur Nothilfe allzu oft in Frage gestellt werden.

 In einer Reihe von gewaltsam ausgetragenen Konfliktsituationen haben wir erlebt, wie die Früchte jahrelanger Entwicklungsarbeit durch bewaffnete Konflikte in kurzer Zeit zerstört wurden. Die Schutzarbeit des Teams Menschenrechte in zahlreichen Einzelfällen stieß an Grenzen, weil die Konfliktparteien, weder der Staat noch bewaffnete Oppositionsgruppen, bereit waren, auf menschenrechtliche Interventionen zu antworten. Dies war in Sri Lanka der Fall, ebenso in den Philippinen, in Zentralamerika und in zahlreichen Konflikten Afrikas. Eine neue Form der Intervention bzw. der Interzession wurde benötigt, um Zugang zu Entscheidungsträgern auf allen Seiten des Konfliktes zu gewinnen, die in Menschenrechtsfällen und bei der Zerstörung von Entwicklungsprojekten abhelfen könnten.

 Das Team Menschenrechte hat daher seit 1988 konsequent den Zugang zu den sich entwickelnden Fachorganisationen gesucht. International Alert in London ist das herausragende aber nicht das einzige Beispiel für dieses neue Engagement. Das Verhältnis war und ist ein Geben und Nehmen, neben der finanziellen Förderung wurde gleichzeitig das gemeinsame Engagement in einer Reihe von Konfliktregionen entwickelt. Und es bedeutet die Teilnahme an Lernprozessen, die unbezahlbar ist. Das Team Menschenrechte hat konsequent darauf hingearbeitet, dass nicht nur auf internationaler Ebene, sondern auch in der Bundesrepublik Deutschland fachliche Ressourcen für Konfliktbearbeitung aufgebaut wurden. Die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung ist ein ganz wichtiges Ergebnis dieser Bemühungen. Sie ging hervor aus dem Kongress zur Zivilen Konfliktbearbeitung im Haus der Kulturen der Welt, Dezember 1994, den das Berghof-Forschungszentrum für Konstruktive Konfliktbearbeitung in Berlin in Zusammenarbeit mit dem Referat Menschenrechte, der Deutschen UNESCO-Kommission und anderen Trägern veranstaltete. Die periodischen Tagungen in Loccum zum Themenkreis Frieden und Zivile Konfliktbearbeitung schließlich führten zur konkreten Initiative der Gründung der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, die von Norbert Ropers vom Berghof-Forschungszentrum, von Jörg Calließ von der Akademie Loccum und von Werner Lottje vom Diakonischen Werk ins Leben gerufen wurde. Der Programm- und Projektstab von BFDW wiederum hat die Aufgabe übernommen, Fachorganisationen der Friedens- und Konfliktarbeit im Süden zu fördern, zB die Nairobi Peace Intitiative, die in Kenia und darüber hinaus wichtige Arbeit leistet.

 Ist insofern die Zivile Konfliktbearbeitung eine sinnvolle und notwendige Ergänzung der Entwicklungs- und Menschenrechtsarbeit, so gibt es doch Anlass, auch die Spannungen und – Widersprüche zwischen den Arbeitfeldern zu beleuchten:

 1. Die Frage ist, ob das Entwicklungsengagement immer nur Teil der Lösung von Konflikten

ist, oder ob nicht gerade durch die Finanzierung von Entwicklungsarbeit und durch Menschenrechtsinterventionen Konflikte verschärft werden. In den 70er Jahren galt unter den Kritischen Friedensforschern Konfliktdramatisierung geradezu als Mittel der Herstellung gerechterer Verhältnisse insofern dadurch gewaltförmige Strukturen und verdeckte institutionelle Gewalt erst sichtbar werden sollte. Antikoloniale Befreiungsbewegungen, die Anti-Apartheidsbewegung, Black Power in den USA oder sozialrevolutionärer Bewegungen wurden in Zeiten massiver Übermachtbildung und -ausübung Ende der 60er und Anfang der 70er als Subjekte – aus der Entwicklungsperspektive – erwünschter gesellschaftlicher und internationaler Veränderungen auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit begrüßt – auch wenn sie ihren Kampf nicht nur, bzw. nicht in allen Phasen mit friedlichen Mitteln führten Den Hoffnungen auf eine New International Economic Order folgte indes in der zweiten Hälfte der 70er die Erkenntnis, es nun mehr mit einer New International Military Order zu tun zu haben. Die Frage, ob bei der Durchsetzung von Gerechtigkeitsansprüchen Gewalt ein legitimes und geeignetes Mittel sei und wie die durch sie entfesselte Militarisierung vieler Gesellschaften und militärische Gewaltspirale zu begrenzen sei, war in den für Entwicklung engagierten Kreisen aber nicht offen zu diskutieren. Der Versuch, im ÖRK im Anschluss an den legendären, aus dem Schwabenland mitveranlassten Aufruf ‚Ohne Rüstung leben’ auf der 5. Vollversammlung des ÖRK 1975. ein ‚Antimilitarismusprogramm’ aufzulegen (in Anlehnung an das Antirassismusprogramm), wurde von einer Koalition aus dem Süden, bzw.‚Dritt-Welt-Aktivisten’ aus dem Norden gemeinsam mit Osteuropäern vereitelt. Wenig verwunderlicher Weise gelang es erst nach dem Ende des Kalten Krieges auch über die problematische Seite sog. ‚befreiender Gewalt’ zu sprechen: Angesichts grenzenlosen Gewaltgebrauches auch seitens Befreiungsbewegungen (Pol Pot/Rote Khmer, Sendoro Luminoso etc.), bzw. im Gefolge von Befreiungskämpfen und der rapide zunehmenden Gewaltmärkte weltweit rief der ÖRK zu einer ‚Dekade zur Überwindung der Gewalt’ auf. Erstmals wurde Gewalt selbst als Problem definiert und die Parole in Frage gestellt, ob es keinen Frieden ohne Gerechtigkeit für alle geben könne. Diese Debatte ist noch nicht zuende geführt, wurde und wird aber inzwischen überlagert von der Frage, der Berechtigung sog. ‚humanitärer Interventionen’, d.h. ob der Schutz der Menschenrechte ein legitimer Grund für militärische Gewaltanwendung sei. (Dabei ist bis heute offen, wer und wie den Fall massiver Menschenrechtsverletzungen definiert).

Hier müßte man auch die Not- und Katastrophenhilfe mit hinzunehmen, doch würde dies den Rahmen der zur Verfügung stehenden Zeit sprengen. An der Not- und Katastrophenhilfe ließe sich exemplarisch das Verhältnis privater und kirchlicher Nothilfe zur staatlichen Katastrophenhilfe, insbes. zu militärgesteuerten Einsätzen und von politischen Interessen geleiteten Programmen darstellen, von denen sich das Diakonische Werk wie auch der Deutsche Caritasverband aus guten Gründen konsequent abgrenzen.

 2. Die katastrophale und tragische Entwicklung in Ruanda im Jahr 1994 hatte sich lange angebahnt. Entwicklungsorganisationen müssen sich fragen lassen, warum sie die Zeichen für die Eskalation des Konfliktes zwischen der Hutu-Mehrheit und der Minderheit der Tutsi nicht rechtzeitig wahrgenommen haben, sondern sich nach den Vorgaben ihrer Partner einseitig auf die Seite der Mehrheitsbevölkerung stellten. Die gleiche Frage müssen sich auch die internationalen und regionalen Menschenrechtsorganisationen gefallen lassen. Als die Massaker im April 1994 begannen, war es zu spät. Wertvolle Zeit im Vorfeld der Tragödie wurde nicht genutzt, obwohl für eingeweihte Beobachter deutlich war, dass Ruanda auf die Tragödie zusteuerte. Rat- und Hilflosigkeit waren die Folge.

 Organisationen der EZ und der Nothilfe brauchen die konstruktive und systematische Kooperation mit Fachorganisationen der Zivilen Konfliktbearbeitung. Anders können sie ihrer Verantwortung zur Prävention, zur Eindämmung und zur Überwindung gewaltsamer Konflikte, die ihre Partner betreffen und bedrohen, nicht gerecht werden. Sie sind in der Regel nicht darauf vorbereitet und dafür ausgestattet, die notwendige Analysearbeit selbst zu leisten, und stehen daher in der Gefahr, ungewollt zur Verschärfung beziehungsweise zur Verlängerung gewaltsamer Konflikte beizutragen. Aber diese Kooperation steht noch in ihren Kinderschuhen, sie zu entwickeln und fruchtbar zu machen, ist die Aufgabe der nächsten Zukunft.

 Es bedarf dafür der Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Entwicklungs- und Nothilfeorganisationen. Der „Do no harm- Ansatz“ von Mary Anderson ist ein erster Schritt in Richtung notwendiger präventiver Überlegungen, wie das eigene Handeln von Entwicklungs- und Nothilfeorganisationen vor Ort in konkreten Konfliktsituationen daraufhin geprüft werden kann, ob es konfliktverschärfend oder konfliktvermindernd wirkt. Dieser Ansatz lässt freilich globale Rahmenbedingungen und die Interessenlagen der Konfliktparteien am Fortbestehen des Konflikts außer Acht (d.h. geostrategische Interessen und Interessen der Ressourcensicherung) und greift darum zu kurz. Dennoch sollte man den „Do no harm Ansatz“ als ersten Schritt, den jeder selbst leisten sollte, ernst nehmen – ohne sich freiwillig selbst damit über die Gefahr indirekter Mitwirkung an internationalen Konfliktszenarien zu beruhigen bzw. zu legitimieren. (So konnten amerikanische Hilfsorganisationen sich durchaus mit der Anwendung von ‚Do no harm’ im Irak nach außen schmücken, die Tastsache, dass sie mit Geldern und unter der Kontrolle von US AID, sozusagen ‚embedded’ in amerikanische strategische Interessen gearbeitet haben, aber völlig unhinterfragt lassen.) Darüber hinaus hindert uns niemand, dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen der Konflikte analysiert werden und dass die Konflikte auf anderen Ebenen als der lokalen Ebene bearbeitet werden. Wir können Anstöße und gegebenenfalls auch die finanziellen Ressourcen an Fachorganisationen geben, diese Arbeit zu leisten – und wir sollten dies auch tun.

 Gleich um welche Region es sich handelt, Frieden kann nur vor Ort entwickelt werden, er muss von innen wachsen. Die Friedensaktivisten vor Ort sind die eigentlichen Träger der Aktion, diese Friedens-„Constituencies“ zu fördern, und mit Schutzmaßnahmen zu flankieren, das ist die Aufgabe der EZ-Organisationen und der Menschenrechts-NRO. ZB gilt es, den Gewaltmärkten und den Kriegsherren, den sog. warlords den Zustrom von Waffen und finanziellen Mitteln oder den Rückgriff auf Kindersoldaten zu erschweren. Landminenkampagne, Diamantenkampagne, internationale Konventionen gegen Kindersoldaten, Reintegration von Kindersoldaten, all dies sind flankierende Maßnahmen, an denen sich Brot für die Welt beteiligt.

 4. Wo also fängt Frieden an?

 Georg Picht sagt: „Die Verwirklichung von Frieden ist die einzige Form der Definition des Friedens, die wir als denkende Menschen anerkennen dürfen.“ Deutlich ist dabei, dass kaum etwas schwerer erscheint, als eben diese Verwirklichung und dass diese Arbeit eher Sisyphos-Charakter trägt, als der berühmten Behauptung ‚Veni, vidi, vici’!

Ein chinesisches Sprichwort sagt: „Eine Reise von 1000 Meilen beginnt mit dem ersten Schritt.“ Ein weiteres chinesisches Sprichwort sagt: „Derselbe Mann, der anfing, den ersten Stein abzutragen, hat den Berg abgetragen.“

 Beide Weisheiten sind zu bedenken, wenn wir über Friedensarbeit im Spannungsfeld Menschenrechtsschutz, Zivile Konfliktbearbeitung und Entwicklungszusammenarbeit sprechen. Es gilt anzufangen, und die nötige Ausdauer mitzubringen. Unser Anteil an der Sisyphos-Arbeit ist zB der Aufbau von Institutionen, wie die Menschenrechts-Dokumentationsstellen im Süden oder die Dokumentationsstellen für Information über Flüchtlinge in Deutschland, die Arbeitsstellen für die psychosoziale Arbeit mit Opfern der Gewalt, die Unterstützung von „Dritte-Welt-Arbeitsstellen“ in Deutschland, der Aufbau des Deutschen Institutes für Menschenrechte in Berlin. Sisyphos braucht Helfer, braucht eine Infrastruktur für Menschenrechts- und Friedensarbeit, die nach Lage der Dinge zur Zeit nur von den Agenturen und Hilfswerken der Entwicklungszusammenarbeit gefördert werden kann. Die Erfahrung hat gezeigt, und das macht das Bild von Sisyphos deutlich, dass wir an manchen Konflikten über zwanzig Jahre und mehr dran bleiben mussten, um unsere Partner immer im rechten Augenblick zu unterstützen und zu schützen, z.B. in Zentralamerika, in den Philippinen, in Sri Lanka und in vielen Teilen Afrikas. Allein in der Konfliktsituation im Tschad sind wir nun seit über 10 Jahren in enger Zusammenarbeit mit Partnern im Tschad und im Norden an der Bearbeitung der Menschenrechts- und Gewaltfragen beteiligt. Durch das Empowerment suchen wir unseren Partnern den wirkungsvollen Zugang zu Rechten zu verschaffen. Mit ihrem Einverständnis, ja aufgrund ihrer Forderungen greifen wir ihre Probleme auf, beteiligen uns an der Suche nach konstruktiven Beiträgen zur Problemlösung und packen vor allem dort an, wo wirtschaftliche und politische Bedingungen für die Probleme im Süden durch deutsche oder europäische Politik und Wirtschaftsmächte gesetzt werden. Da nehmen wir auch Einfluss auf die Politik, damit sie unsere Südpartner gleichberechtigt anerkennt und eine internationale Kooperationskultur geschaffen werden kann. Spätestens der Irak-Krieg und der sog. Krieg gegen den Terror haben gezeigt, dass es eine Logik gemeinsamer Interessen gibt und wir die Schutzbedürftigkeit globaler öffentlicher Güter zur Richtschnur unseres Handelns machen müssen, Politik wir private Träger der EZ, der Menschenrechts- und Friedensarbeit gleichermaßen.