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Hilflose Hilfe?

Artikel für das Berliner Sonntagsblatt im April 2004
Cornelia Füllkrug-Weitzel, Direktorin der Diakonie Katastrophenhilfe
Gezielte Tötungen, Bombenanschläge, Straßenkämpfe und Entführungen, sexuelle und kriminelle Gewalt – ein Jahr nach dem offiziellen Ende des Krieges wird Sicherheit für die Bevölkerung im Irak immer mehr zum Fremdwort. Von sozialer und wirtschaftlicher Stabilität zu schweigen: Arbeitslosigkeit, unzureichende Strom- und Wasserversorgung, Ausbreitung von armutsbedingten Krankheiten und mangelnde Gesundheitsfürsorge. Die Unzufriedenheit wächst und schafft damit eine Basis für die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Besatzungskoalition und extremistischen Widerstandsgruppen. Mit den Entführungen westlicher Ausländer in den vergangenen Wochen wurde eine neue Eskalationsstufe erreicht.

Die Versorgung der Bevölkerung mit humanitären Hilfsgütern kann aufgrund der Ausgangssperren, Kampfhandlungen und Angriffe auf die Helfer in manchen Gebieten nur noch schwer sicher gestellt werden. Der Schutz der Bevölkerung, wie ihn das humanitäre Völkerrecht unter den Genfer Konventionen im Falle kriegerischer Auseinandersetzungen vorsieht, ist gegenwärtig nicht gewährleistet.

Aber nicht nur Soldaten und Angestellte von privaten Sicherheitsfirmen sind Zielscheibe von gewalttätigen Übergriffen. Der Anschlag auf das Hauptquartier des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz im vergangenen Herbst hat deutlich gemacht, dass die Gewalt erstmals auch vor humanitären Helfern nicht halt macht. Seitdem hat sich die Lage immer weiter zugespitzt: Krankenwagen werden beschossen, Erste-Hilfe-Zentren und Krankenhäuser von militanten Gruppen besetzt, Helfer gekidnappt. Die meisten internationalen Hilfsorganisationen haben ihre ausländischen Mitarbeiter inzwischen abgezogen, zu groß ist die Gefahr für deren Leib und Leben. Hilflose humanitäre Hilfe?

Humanitäre Hilfe in Konflikt- oder Kriegssituationen findet immer in einem gefährlichen Umfeld statt. Doch die bedenkliche Lage, in die humanitäre Helfer im Irak geraten sind, ist zumindest in Teilen auf eine Entwicklung zurückzuführen, die sich bereits zu Beginn des Krieges abgezeichnet hat: Nicht nur Journalisten wurden von der US-Regierung strategisch „militärisch eingebettet“, auch humanitäre Hilfsorganisationen waren Objekt von Vereinnahmungs- und Instrumentalisierungsversuchen. Der Versuch der USA, militärische und humanitäre Aktionen miteinander zu vermischen, hat die in solchen Situationen dringend gebotene Neutralität und Unabhängigkeit der humanitären Hilfe bedroht. Gemeinsam mit ihrem internationalen kirchlichen Hilfsnetzwerk ACT hat die Diakonie Katastrophenhilfe immer wieder vor den Folgen einer solchen Strategie gewarnt.

Die Nähe zu militärischen Operationseinheiten birgt nicht nur ein hohes Sicherheitsrisiko für die humanitären Helfer, die dadurch als Kombattanten erscheinen. Die Unterhöhlung von Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der humanitären Hilfe, ihrer obersten Prinzipien, kann langfristige Folgen haben für die Möglichkeit, zivilen Opfern in einem Krieg beizustehen. Was, wenn die Gewalt gegen humanitäre Einrichtungen und Helfer im Irak ein Anfang ist, an dessen Ende niemand mehr die Neutralität humanitärer Hilfe ernst nimmt und die Bestimmungen des humanitären Völkerrechtes beachtet?

Dann hätte die Völkergemeinschaft keine Instrumente mehr, um die verheerenden Wirkungen von kriegerischer Gewalt auf die Zivilbevölkerung einzudämmen. Sie wären durch solch allseitige Missachtung stumpf geworden. In den innerstaatlichen Konflikten Afrikas scheint man sich schon fast an diese Hilflosigkeit gewöhnt zu haben. Im Irak stehen die humanitäre Hilfe und die Achtung des humanitären Völkerrechtes nun in einem internationalen Konflikt auf dem Spiel. Deeskalation ist also nicht nur im Interesse der in diesem Konflikt betroffenen Bevölkerung.

Die gute Nachricht zum Schluss: Die Hilfsmaßnahmen der Diakonie Katastrophenhilfe gehen trotz der schlechten Sicherheitslage weiter. Denn es sind lokale und regionale Partner, die sie verantworten. Sie wollen und können die Hilfe unter sehr schwierigen Bedingungen fortsetzen – auch wenn sie angesichts der prekären Sicherheitslage notwendigerweise Einschränkungen unterliegt. Vertrauen, das sich durch Vertrautheit mit den lokalen und kulturellen Gegebenheiten sowie durch eine verlässliche Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort aufbaut, ist der beste Schutz. Noch muss humanitäre Hilfe nicht hilflos sein.

Die Diakonie Katastrophenhilfe stärkt die Selbstverantwortung und Handlungsmöglichkeiten der lokalen kirchlichen Partner. Ganz wichtig ist uns dabei, dass die Hilfsprojekte so angelegt sind, dass sie nachhaltige Perspektiven schaffen, allen dienen und so zur Versöhnung und zum Aufbau der Zivilgesellschaft beitragen.