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Über die Moralität humanitärer Hilfe

Eine Lektion am Beispiel des geplanten BSE-Fleisch-Exports nach Nordkorea

Die ‚Diakonie Katastrophenhilfe’ ist eine christliche humanitäre Hilfsaktion mit langer Tradition: 1954 wurde sie im Rahmen des Diakonischen Werkes gegründet. Die lange Erfahrung macht uns paradoxer Weise bei vielen, vor allem jüngeren Spender/innen, nicht etwa vertrauenswürdiger, sondern verleiht uns bei ihnen das Image einer etablierten und darum scheinbar unengagierten, selbstzufriedenen, bürokratisierten Institution. Parteien mit Tradition wie die CDU leiden unter demelben Phänomen. Davon profitieren neue kleine humanitäre Hilfsorganisationen, die wie Pilze aus dem Boden schießen, seit das Spenden sammeln zum Marktgeschehen geworden ist und es auf dem Katastrophenhilfsmarkt etwas zu verdienen gibt – und tragen darum kräftig zu dererlei Vorurteilen bei! Selbst geben sie sich das Image von flexiblen, zur unbürokratichen Spontanität fähigen Aktionen, hinter denen hohes persönliches moralisches Engagement steckt. Zu ihrem Entstehungsmythos gehört, sich da ‚endlich’ für Leidende zu engagieren, wo die ‚Etablierten’ vermeintlich abgestumpft und borniert drüber wegsehen. Fundraising erfolgt nicht mit dem Argument nachgewiesener Kompetenz und Erfahrung, sondern mit dem Mittel öffentlicher Aufgeregtheit, Moralisierung und Skandalisierung der Politik der Etablierten (worunter Regierung und UN ebenso wie die traditionellen Hilfswerke fallen) vom Standpunkt der moralisch Aufrechten her. Die Medien nehmen dies dankbar auf, denn Skandale sind allemal eine Meldung wert – nicht so mühselige Differenzierungen. Schließlich gerät die Politik unter Handlungsdruck (Beispiel Mozambique, wohin die Bundesregierung schließlich – gegen sachlich berechtigte Vorbehalte und besseres eigenes Wissen – für eine bis heute nicht gedeckte Millionenunsumme als der öffentliche Druck zu groß wurde Hubschrauber entsendet, mit denen schließlich ganze 13 Menschen von Dächern geholt werden, wobei nicht gesagt ist, dass sie nicht auch andere Mittel der Rettung hätten finden können.)

Diese Skandalisierung und Politisierung zum Zwecke der Selbstprofilierung auf einem umkämpften Markt führt gegenwärtig zu einer ebenso bemerkenswerten wie gefährlichen Unterhöhlung der Grundsätze humanitärer Hilfspolitik, die in Jahrzehnten der Erfahrung und des Dialogs (vor allem auch mit den ‚Betroffenen’) von der UN und den ‚traditionellen’ Hilfsorganisationen formuliert worden sind.

Ein Beispiel aus den vergangenen Monaten:

Als infolge der BSE-Krise in ganz Europa der Rindfleischverbrauch und damit die Rindfleischpreise drastisch zurück gingen, griff die EU in – seit Jahrzehnten – üblicher Weise zum Mittel der Marktstabilisierung durch Nahrungsmittelvernichtung: Sie ordnete Massenschlachtungen an. Verständlicher weise bestürzte dies nicht nur Bauern, sondern auch Verbraucher, die die Lebensmittelvernichtung als Skandal empfanden. Ein Ausweg aus der Legitimationskrise der europäischen Landwirtschaftspolitik (die regelmäßig entsteht, wenn ‚Berge’ oder ‚Seen’ abzubauen sind) schien sich mit der Idee anzubieten, mit der Entsorgung in sog. ‚Entwicklungsländer’ ein gutes Werk zu leisten. Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und einige Entwicklungshilfswerke machten jedoch öffentlich bald deutlich, dass mit Lebensmittellieferungen Armut nicht gelindert, sondern mittel- und längerfristig nur verstärkt wird, weil dadurch die labilen Märkte in Entwicklungsregionen destabilisiert und lokale Viehzüchter (Kleinbauern) ihrer Existenz beraubt werden. Nicht weg zu diskutierende Beweise für diese Befürchtung boten praktisch alle früheren EU-Marktbereinigungen auf dem Wege sog. ‚Entwicklungshilfe’. Damit entfiel dieser ‚gute Zweck’ für die moralisch umstrittene Aktion der Massenschlachtung. Als Ausweg bot sich die sog. ‚humanitäre Hilfe’, weil als Schelm gilt, wer es wagt, angesichts schreiender Hungersnot nach den langfristigen Auswirkungen der sog. ‚Hilfe’ zu fragen.

Obwohl ja auch diese Frage keineswegs abwegig ist, wie man am Beispiel Flutkatastrophe Mozambique leicht sehen kann: Aus den USA wurden als Nahrungsmittelhilfe große Mengen an Mais eingeflogen. Im Norden Mozambiques, der von der Flut nicht betroffen war, gab es zeitgleich eine Jahrhundertmaisernte. Es fehlte indes an Transportmöglichkeiten für diesen Mais in den Süden, da die Verbindungsstraßen zerstört waren. Dann fehlte es auch noch an Absatzchancen: der Markt im Süden war mit Importmais gesättigt. Die Jahrhunderternte verhalf den Bauern des Nordens und insgesamt der Wirtschaft Mozambiques nicht zur erhofften und dringend benötigten Einkommenssteigerung, sondern wurde eher zum Problem. Wie viel billiger wäre es für die US-Regierung gewesen, Mittel für die Schaffung von für den Aufkauf und die Verteilung des landeseigenen Maises und Transportkapazitäten innerhalb Mozambiques bereitzustellen, als Mais im eigenen Land aufzukaufen und interkontinental Tonnagen zu bewegen? Die ‚Hilfs’aktion sollte aber nicht zuletzt auch den nordamerikanischen Maisbauern helfen – und dies nicht nur einmalig: Der importierte Mais war gentechnisch so manipuliert, dass er nicht als Saatgut genutzt werden kann. Die Nothilfe hat zur dauerhaften Abhängigkeit von externer Versorgung geführt, obwohl es Alternativen gab. Selbsthilfekapazitäten in Afrika wurden zugunsten versteckter Exportsubventionen für amerikanische Produkte langfristig untergraben. Wer ist nun der wahre Schelm?

Zurück zum Fall ‚Entsorgung überschüssigen Rindfleischs’: Ein Land mit Hungersnot wurde gesucht. Das Kälte-gebeutelte Sibirien wurde als Ziel der Hilfsmaßnahme gepriesen bis öffentlich bekannt wurde, dass in Sibirien die Herden schneller erfrieren, als der Fleischberg verarbeitet werden kann. Dann wurde endlich der Hunger in Nordkorea – ein ca. 5 Jahre altes Phänomen – entdeckt: Der engagierte Journalist Rupert Neudeck, Vater und Hauptakteur des ‚Hilfskomitees Cap Anamour’, beschrieb im Stern in passionierten Worten und mit eindrücklichen Bildern die Hungersnot in Nordkorea und den Skandal internationaler Passivität angesichts dieser schreienden akuten Not. Er zeigte auf, wie mit ca. 80.000 Tonnen eingedostem Rindfleisch aus Europa seiner Meinung die Millionen akut verhungernder Menschen aus letzter Not gerettet werden könnten. Er brachte die nordkoreanische Regierung auf die Idee, in Deutschland ein Importersuchen zu stellen. Die marktbedingten Schlachtungen verloren das Skandalöse und damit den Fanalcharakter für eine verfehlte europäische Landwirtschaftspolitik, indem sie höhere ethische Weihen als sog. ‚humanitäre Hilfsaktion’ bekamen. Als zynisch und selbstgefällig wurde vorsorglich beschimpft, wer es wage, diesen ‚guten Zweck’ der Massenschlachtung in Zweifel zu ziehen. Der öffentliche Druck auf Parlament und Bundesregierung wurde so stark, dass sie der Option nahe traten und die Bundesregierung eine Lieferzusage machte.

‚Caritas internationalis’ und ‚Diakonie Katastrophenhilfe’ gehörten damals zu den als ‚zynisch’ angeklagten etablierten Hilfsorganisationen, die sich unterstanden, öffentlich auf die Aporien und die Ambivalenzen einer solchen Aktion hinzuweisen. Zwar waren auch wir der Meinung, dass die katastrophale Unterversorgung in Nordkorea ein Thema für die internationale Öffentlichkeit sein sollte und dass den hungernden Menschen geholfen werden muss.

Nur die Schlussfolgerung „Deutschland muss Nord-Korea BSE-negativ getestetes Rindfleisch zur Verfügung stellen“ konnten wir nicht ohne weiteres teilen – gerade weil uns die Situation dort vertraut war:

  1. Die Katastrophenhilfe des Diakonischen Werkes der EKD ist seit Herbst 1995 (mit Hilfeleistungen im Umfang von 12,6 Mio DM) in Nord-Korea tätig und sogar die ‚lead agency’ für Nordkorea im internationalen kirchlichen Netzwerk für humanitäre Hilfe ‚ACT’ (‚Action by Churches Together’). Seit diesem Zeitpunkt hungert die Bevölkerung in Nord-Korea. Trotz vieler Appelle der in ACT zusammen geschlossenen Kirchen und kirchlichen Hilfsorganisationen u.a. weltweit wurde diese humanitäre Krise jedoch nur sehr wenig von der Weltöffentlichkeit beachtet und beantwortet. Viele Länder, darunter auch die Bundesrepublik, hielten sich mit Nahrungsmittelhilfe aufgrund politisch-diplomatischer Opportunitäten und politischer Bewertungen des Charakters der Hungerkrise zurück: Zwar war Mitte der neunziger Jahre die Hungerkrise durch eine Serie von klimatisch ungünstigen Jahren und damit verbundenen Ernteausfällen unmittelbar ausgelöst worden. Das Grundproblem der schlechten Ernährungssituation sahen sie, darunter auch das BMZ, aber in der politischen und Wirtschaftsstruktur des diktatorisch regierten Landes, die es seit 1990 in eine schwere ökonomische Krise geführt haben. Die Bundesregierung anerkannte das kommunistische Nordkorea diplomatisch nicht an und unterstützte seine internationale Isolierung – auch als die Hungersnot noch größer war als im Jahr der BSE-Krise. Darum wurde z.B. 1997 ein gemeinsamer Antrag von Caritas international und Diakonie Katastrophenhilfe auf die Finanzierung von 3.000 Tonnen Reis seitens des BMZ (Referat 305 bzw. heute 303) negativ beschieden: „Auf Grund einer Leitungsentscheidung des Hauses können keine bilateralen EZ-Mittel für Maßnahmen der Nahrungsmittel-, Not- und Flüchtlingshilfe an Nord-Korea bereitgestellt werden…. das BMZ fördert derzeit nur Vorhaben im multilateralen Bereich (WFP und EU)..“. Eine ähnliche Haltung nahmen weltweit auch viele der in der Entwicklungszusammenarbeit tätigen Hilfsorganisationen ein. Humanitäre Hilfe durch das Auswärtige Amt: ja, nachhaltige Hilfe, Rehabilitation und Entwicklungsförderung: nein. Stattdessen – auch zu Zeiten akuterer Hungersnot – Forderungen nach politischen und wirtschaftlichen Reformen, um dem Hunger im Land strukturell zu begegnen.

 

  1. Im Vorfeld, besser: als Voraussetzung des Rindfleischexportes, musste die Bundesregierung in diesem Frühjahr in einer diplomatischen Hauruck-Aktion Nordkorea politisch anerkennen. Für die nordkoreanische Regierung zweifellos der Grund und wesentliche Gewinn ihres Hilfsersuchens. Dass sich die Bewertung der politischen Lage in Nordkorea und die Gestaltung der diplomatischen Beziehungen seitens der deutschen Regierung so spontan und vollständig ändern kann, wirft bei Außenstehenden, die sich seit Jahren bemühen, der notleidenden Bevölkerung beizustehen und dabei aufgrund der politischen Entscheidungen auf verschlossene Türen stießen, zumindest Fragen auf. Mit der humanitären Lage hat es zumindest nichts zu tun – sonst hätte sich die Hungerkrise erst gar nicht über die Jahre soweit aufbauen müssen. Den lange erhobenen politischen Forderungen gegenüber Nordkorea wird das einzige Druckmittel vorenthaltener diplomatischer Anerkennung nun um der Marktstützung willen entzogen – falls man es je für sinn- und wirkungsvoll gehalten hat.
  1. Die bei der Zustimmung der Bundesregierung zum Rindfleischexport im Frühjahr diesen Jahres genannten Bedingungen
    • unabhängige Hilfsorganisationen müssen das Fleisch verteilen
    • es muss garantiert werden, dass das Fleisch bei den Bedürftigen ankommt

schienen damals unserer Meinung nach nicht leicht erfüllbar – zumindest nicht in dem Zeitraum, der für eine „Hungerhilfe“ angemessen wäre.

Zum einen führten wir damals ins Feld, dass die Verteilung von 60 – 70.000 Tonnen eingedostem Rindfleisch (von denen noch im April die Rede war) ein immenses logistisches Problem darstelle. Nach unserem Kenntnisstand haben die meisten Lastwagen in Nord-Korea eine Nutzlast von etwa 7 – 10 Tonnen. Hinzu kommen die Probleme des Vorhanden-, bzw. nicht ausreichenden Vorhandenseins von Treibstoff für Fahrzeuge zum inländischen Transport. Die Verteilung wird erschwert durch die Tatsache, dass die Provinzen teilweise (geographisch) nur sehr schwer zugänglich sind – so z.B. dauert es bereits vier lange Tage, um in die nördliche Provinz Ryanggang zu gelangen… Aus rein logistischen Gründen hielten wir daher eine Verteilung „durch unabhängige Hilfsorganisationen“ für kaum machbar. Nach unserer Kenntnis verfügte keine der bereits in Korea tätigen deutschen Hilfsorganisationen (auch nicht Cap Anamour) über eine entsprechende Logistik. Wenn überhaupt jemand die notwendige Struktur für eine solche Verteilung bieten kann, dann nur die staatlichen Stellen zusammen mit den UN-Organisationen, allen voran dem World Food Programme.

Die genannten Probleme (Treibstoffmangel, Mangel an geeigneten Transportfahrzeugen, lange Transportdauer) würden sich im Falle des Transportes von Frischfleisch, bzw. Gefriergut potenzieren. Wir sahen die Kühlkette höchstens im Winter – also Monate nach der als dringlich prognostizierten unmittelbaren Hungersnot – gewährleistet.

Zum andern hielten wir eine Garantie-Abgabe, „dass das Fleisch bei den Bedürftigen ankommt“ zwar für – angesichts des ethischen Dilemmas der deutschen Bevölkerung – sehr populär, aber für wenig realitätsnah und überprüfungsfähig. Die Probleme beginnen mit der Auswahl der Kriterien der Bedürftigkeit: Ist der Bauer, der hungert, gleichzusetzen mit dem Bauern, der seinen Militärdienst abzuleisten hat und auch in dieser Funktion hungert? Oder sind die ‚Bedürftigen’ vor allem die Bevölkerungskreise, die am schlimmsten unter Unterernährung leiden und kurz vor dem Hungertod stehen (z.B. Säuglinge, Kleinkinder und Alte)? Dann ist ihnen nur mit Baby-, bzw. therapeutischer Nahrung zu helfen. Letztlich ist unserer Meinung nach die Mehrheit der Bevölkerung bedürftig und der Aussagewert dieser Garantie, die ja ein Schutz vor politischem Missbrauch darstellen soll, darum relativ gering. Wir gaben damals zu bedenken, man solle dann doch ehrlicher weise sagen, dass wer den Bedürftigen helfen will, auch in Kauf nehmen muss, dass der Staat diese Hilfe missbrauchen kann (und in jedem Falle natürlich politisch instrumentalisiert – wie ja dann auch geschehen) und dass man bereit ist, dies um der Hilfe für Notleidende willen in Kauf zu nehmen. Das aber wäre unter dem Vorzeichen der Moralität der gebotenen Hilfe schlecht zu verkaufen gewesen.

Es wäre darum aus unserer Sicht der humanitären Hilfe dienlich, wenn man die ethischen Messlatten, die der politischen und ethischen Komplexität solcher Situationen nicht gerecht werden, weniger hoch hängen würde – wenn dies auch dem Populismus abträglich wäre. Aber humanitäre Hilfe sollte nichts mit Populismus, sondern ausschließlich mit realer Not und realem Bedarf der Notleidenden zu tun haben.

  1. Unabhängig davon geben wir folgende weitere Gesichtspunkte zu bedenken:
    • Es ist richtig, dass in Nord-Korea eine Störung des Rindfleischmarktes nicht zu befürchten ist, da ein solcher Markt nicht existiert. Dennoch wird mit einer solchen Hilfsgütersendung die Abhängigkeit von humanitärer Hilfe fortgeschrieben; das Land bedient sich am Tropf von Marktüberschüssen aus Europa und den USA, statt –s.o. – die notwendigen politischen und wirtschaftlichen Reformschritte einzuleiten.
    • Es ist zu begrüßen, dass die BRD nur BSE-negativ getestetes Rindfleisch liefern will. Nur: wer kontrolliert dies? Wer kann hier eine Garantie dafür abgeben, dass von dem exportierten Fleisch absolut keine Gefahr für Leib und Leben ausgehen? Wenn diese Kontrolle wirklich absolut und durchgängig durchgeführt werden könnte: warum dann keine (weitaus weniger kostenaufwendige) Lagerung des Dosenfleischs in den Beständen der Bundeswehr oder der NATO? Solange ein Restrisiko nicht auszuschließen ist – und zu diesem Zeitpunkt kann dies nach unserem Kenntnisstand niemand – muss, zumindest im Rahmen der Hungerhilfe/der humanitären Hilfe, der Verschickung von Rindfleisch mit Skepsis begegnet werden. Schon mit einem Bruchteil des für die Keulung, gegf. Eindosung, den Transport und die Verteilung vorgesehenen Geldes könnte dann der Ankauf von Babynahrung, therapeutischer Nahrung und echten Grundnahrungsmitteln in der Region vorgenommen werden, mit dem den Notleidenden effektiv geholfen werden könnte.
    • Last not least wiesen wir auf den Kostenfaktor hin: Zwischen 150 – 200 Millionen Mark sollte der Rindfleischexport im damals geplanten Umfang (incl. Keulung und Eindosung) nach Nord-Korea nach öffentlich angestellten Schätzungen gelten. Das ist doppelt so viel wie z.B. die humanitäre Hilfe der Bundesregierung (AA) für Notlagen in der ganzen Welt zur Verfügung hat. Aus welchem Haushalt sollen diese enormen Kosten (gemessen am tatsächlichen Nutzen) bestritten werden? Dies kann wohl nur akzeptiert werden, wenn damit der Haushalt von Bundesministerin Künast belastet wird – was den Spielraum ihres Ministeriums für jede Schritte einer Agrarform verringern wird, die notwendig sind, damit die humanitäre Hilfe nicht zyklisch mit der Zumutung belastet wird, europäische Nahrungsmittelüberschüsse auf Kosten internationaler Normen und Standards der humanitärer Hilfe zu entsorgen – denn um solche Zumutung handelt es sich hier.

Die beiden großen christlichen Hilfsaktionen ‚Caritas international’ und ‚Diakonie Katastrophenhilfe’ wurden damals für solche öffentlichen Fragezeichen als unemphatische Bedenkenträger und als zynisch denunziert.

Seit jenem dramatischen Aufruf zur Hilfeleistung im Februar sind mehrere Monate vergangen. Deutschland hat bisher kein Rindfleisch nach Nordkorea geliefert. Ende Juli war davon die Rede, in den nächsten Wochen’ zu liefern – mittlerweile nur noch ganze 3000 Tonnen. Das Rindfleisch, das durch das erste Ankaufprogramm der Bundesregierung erworben worden war, musste samt und sonders vernichtet werden. BSE-Erreger-Test-Kapazitäten sind für solche Fleischmassen in der EU kaum ausreichend vorhanden. Das wegen BSE aufgelegte EU-Schlachtprogramm verlief insgesamt schleppender als erwartet. Grund war die Erholung des Rindfleischmarktes und damit die steigenden Absatzchancen im eigenen Land. Cap Anamour und Bundesregierung sind sich laut Presseveröffentlichungen vom 21.7.01 einig, dass eine Fleischlieferung aus klimatischen Gründen im Herbst oder Winter ‚am sinnvollsten’ wäre – wegen des Nichtvorhandenseins benötigter Kühlkapazitäten.

 Aber

Wer ist nun zynisch? Standen die Menschen im Frühjahr nun so massenhaft vor dem Hungertod wie im Stern und anderswo geschildert, oder nicht? Dann wären sie mittlerweile wieder ohne unsere Kenntnisnahme und unsere (berechtigte) Empörung gestorben – wie schon in den 6 Jahren zuvor und die Rindfleischexportdebatte wäre für eine effektive rasche Hilfe eher schädlich gewesen, weil sie sie – absehbar! – hinausgezögert und auf falsche Gleise gelenkt hat? Wichtig wäre zu wissen, wie die Bundesregierung stattdessen die neue Chance diplomatischer Beziehungen nutzt, um statt des Rindfleischs effektive massenhafte Hilfe fließen zu lassen.

Realismus hat sich langfristig durchgesetzt. Klar erkennbar ist nun der Charakter der im Frühjahr öffentlich geschürten moralischen Aufregung über die Hungerkatastrophe in Nordkorea: Mit effektiver humanitärer Hilfe hatte sie wenig zu tun. Wohl aber mit effektivem Showbusines zur Selbstprofilierung/Marktpositionierung einerseits und mit der politischen Legitimationskrise, die die ökonomische Fleischmarktkrise infolge von BSE ausgelöst hat andererseits.

Wieweit ist das Verständnis für humanitäre Hilfe heruntergekommen, wenn aus Erfahrungswerten und Ortskenntnissen gespeister Realismus nicht mehr Umfang und Art von Hilfeleistungen bestimmt, sondern die durch Hilfsaktionen erhofften Öffentlichkeitseffekte einerseits und eigene Entsorgungsprobleme andererseits? In vielen Jahrzehnten Erfahrung mit humanitärer Hilfe haben die beiden großen christlichen Hilfswerke Diakonie Katastrophenhilfe und Caritas internationalis nicht ihre Passion und moralische Kraft verloren – wohl aber die Naivität, zu dilettieren und in diesem Grenzgebiet menschlicher Existenz zu moralisieren.

Humanitäre Hilfe setzt nach unserer Überzeugung ernst- und dauerhafte ethische Grundüberzeugungen voraus, die mit Marktpositionierung nichts zu tun haben. Dazu gehören:

  • Der Mensch in seiner konkreten und umfassenden Bedürftigkeit steht im Mittelpunkt der Liebe Gottes und darum auch unserer Hilfe. Den Schwächsten und Gefährdesten gelten besonderes Augenmerk und Unterstützung.

  • Wir nehmen uns der notleidenden Menschen in ihrer gesamten Bedrängnis an: der individuellen und kollektiven, der materiellen wie seelischen und geistlichen Not.

  • Aber wir sehen nicht nur seine Bedürftigkeit, sondern nehmen zugleich seine Würde, seine Verantwortung für sich und die Gemeinschaft und seine Hoffnung ernst. Wir möchten ihn dabei unterstützen, seine ihm verbliebenen Möglichkeiten, eigenen Gaben und Begabungen für die akute Rettung und für den Wiederaufbau einzusetzen.

  • Unsere Hilfe bestimmt sich nach dem Ausmaß der Not und der konkreten Bedürftigkeit der betroffenen Menschen und nicht nach dem, was in der eigenen Gesellschaft überschüssig oder besonders medienwirksam ist.

  • Vom christlichen Menschenbild her verbietet es sich uns, dem Markttrend zur sektoralen Spezialisierung und zur zeitlichen Parzellierung der Hilfeleistung blind zu folgen. Wir wollen stattdessen den notleidenden Gemeinschaften in ihren Selbsthilfebemühungen umfassend und langfristig zur Seite stehen. Wir wollen ihnen nicht nur in den spektakulären Stunden der ersten medienwirksamen Not beistehen, sondern so lange sie externe Unterstützung benötigen.

  • Not leidende Menschen sind für uns keine unmündigen und passiven Opfer, sondern Subjekte mit eigener Würde und der Fähigkeit, ihr Leben selbst zu gestalten

  • Wir unterstützen nur lokale Hilfsprogramme, in denen die Betroffenen an der Gestaltung und Durchführung beteiligt sind und die von ihnen gewollt und akzeptiert werden.

  • Wir respektieren und stärken damit die Selbstverantwortung in den Ländern und fördern Strukturen, die den Verhältnissen angepasst sind, einheimische Unterstützung mobilisieren und den Betroffenen über die Zeit der ersten Not hinaus bleibenden Beistand leisten kann.

  • Wir achten darauf, dass ihre Selbsthilfe und Selbstorganisation durch die Hilfsmaßnahmen nicht gestört, sondern gestärkt werden. Im Mittelpunkt aller von uns veranlassten und geförderten Hilfsmaßnahmen steht die Nutzung lokal vertrauter Technik und lokalen Know-hows, die Beschäftigung lokaler Kräfte und der Kauf benötigter Hilfsgüter im Lande bzw. der Region selbst – d.h. die Nutzung und Stärkung lokaler Ressourcen, Strukturen und Kompetenzen.

  • Wir respektieren die Kultur, Lebensgewohnheiten und soziale Struktur der betroffenen Bevölkerung und stimmen unsere Hilfe und unsere Verhaltensweisen darauf ab.

  • Wir achten bei unseren Hilfeleistungen und Werbemaßnahmen und in unserer Öffentlichkeitsarbeit die Rechte und Würde der Hilfsempfänger.