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Power of Dignity

Deutscher Evangelischer Kirchentag, 2007 Cornelia Füllkrug-Weitzel

Inhalt:

 

Aphoristische Beobachtungen zur Bedeutung der Würde für die ökumenische Diakonie

 

Die Achtung der Würde des Menschen und der Einsatz zu ihrem Schutz entspringt dem Zentrum christlichen Glaubens: Dass Gott den Menschen zu seinem Ebenbild geschaffen hat, verleiht allen Menschen eine unantastbare, unverfügbare Würde und unveräußerliche Integrität. Weil die Würde des Menschen von Gott verliehenund aus seiner Kraft und Herrlichkeit abgeleitet ist, bedarf sie für ChristInnen keiner weiteren Begründung. Damit besitzt sie und verleiht sie eine unvergleichliche ‚power’ – was ich unter Rückgriff auf die hebräische Tradition, die von der ‚Kawod’ Gottes spricht – angemessener mit ‚Kraft’ und Herrlichkeit, als mit ‚Macht’ übersetzen würde. Diese Kraft kann und will zuallererst Wirksamkeit in dem mit Würde ausgestatteten Geschöpf selber entfalten – als Selbstachtung und Selbstwertgefühl unabhängig von seiner Lebensleistung und -lage.

 

Diese Würde ist nach christlichem Verständnis ‚unverdient’. Sie wird darum nicht durch eigenes noch durch fremdes Zutun erworben, noch kann sie vergrößert werden. Sie ist unüberbietbar und bedarf darum auch keines besonderen Verhaltens oder besonderer Leistungen. Sie eignet einer analphabetischen Slumbewohnerin in Manila in gleicher Weise wie einem deutschen Entwicklungshelfer oder Oberkirchenrat und gibt darum christlicher Entwicklungs- und humanitärer Hilfe eine grundsätzliche Respekthaltung mit auf den Weg: An den Menschen, denen unsere Unterstützung gelten soll, ist nichts Defizitäres. Wohl aber sind die Umstände, unter denen zu leben sie gezwungen sind, ihrer Würde nicht angemessen. Mithin besteht zu Überheblichkeit, Hochmut oder Besserwisserei in der konkreten Begegnung von Projektbearbeitungen aus humanitären und Entwicklungshilfeorganisationen ebenso wenig Anlass wie in der Art der Hilfeleistung. Achtung der Gottesebenbildlichkeit in der Entwicklungszusammenarbeit bedeutet Respekt vor den zu unterstützenden Menschen und Kooperation mit Partnerorganisationen auf Augenhöhe.

 

Dem folgt auch ein Imperativ, Menschen in würdelosen Lebenssituationen nicht alswürdelose Wesendarzustellen. Diese Erkenntnis hat Eingang in die Werbe- und Öffentlichkeitsarbeit von „Brot für die Welt“ und der Diakonie Katastrophenhilfe gefunden. Wir verpflichten uns, Menschen nicht in ihrer Ohnmacht und Hilflosigkeit, als Opfer, sondern in ihrer einzigartigen Würde, mit ihren Hoffnungen und ihrem Handlungspotential darzustellen.

 

Da alle Menschen unterschiedslos von Gott die gleiche Würde zugesprochen bekommen haben und gleich wertvoll für ihn sind, kann es aus christlicher Sicht keine Unterschiede in der Würde von Menschen verschiedener Nationen, Ethnien, Klassen, Geschlechtern usw. geben, ist sie mithin universal und unteilbar. Die aus der Gottebenbildlichkeit abgeleitete Würde begründet eine grundsätzliche Gleichheit und damit Gleichwertigkeit aller Menschen. Das Wissen um die eigene Menschenwürde kann Menschen Kraft geben, sich gegen Diskriminierung zu wehren (und auch die Kraft, in für den Moment unabwendbaren Unterdrückungssituationen auszuhalten und neuen Mut zu schöpfen). In jedem Fall ist es auch eine starke Triebkraft und zentrales Motiv, den Wert jedes/r anderen zu schätzen. Es setzt dadurch auch Kräfte frei, sich – auf der Kraft der Selbstachtung aufbauend, die die Betroffenen zum Widerstand gegen ihre Diskriminierung motiviert – für andere einzusetzen, deren Würde mit Füßen getreten wird und sich ebenfalls nicht mit Ungerechtigkeit abzufinden. Der Kampf von betroffenen Christen und Christinnen und von Christenmenschen weltweit gegen Apartheid, das Kastenwesen in Indien und vielfältige andere Formen der Diskriminierung und des Rassismus finden hier ihren Ausgang.

 

Die Würde eines Menschen kann von anderen ignoriert oder mit Füßen getreten werden. Aber sie kann einem Menschen weder genommen werden, noch kann sie durch eigenes Zutun verloren gehen: sie ist unveräußerlich und unzerstörbar. Kein von außen aufgezwungener noch so miserabler Lebensumstand kann sie einem Menschen nehmen. Krankheit, Behinderung, Folter, Gewalt und Tod markten ihr nichts ab: Ob Menschen in Erdhöhlen zu leben gezwungen sind, wie die von Stalin nach Sibirien vertriebenen Wolgadeutschen, ob sie nur mit Schmutz und Kot arbeiten dürfen, wie die Dalits in Indien oder als Zwangsprostituierte ihren Körper anbieten müssen, ob sie nichts mehr besitzen als die Kleiderfetzen an ihrem Leib wie viele Überlebende des Tsunami und Vertriebene in Darfur – ihre Würde tragen sie unter allen Umständen als unverletzlich davon. Als Ergebnis des Schöpfungs- und ständigen Neuschöpfungshandelns Gottes bleibt sie trotz all dessen und durch all das hindurch gleich. Das ist in vielerlei Hinsicht für Menschen, die unter Armut, Verelendung und Gewalt leben, bedeutsam: Es bedeutet ihre fortbestehende innere Unantastbarkeit und Integrität selbst unter extremen Umständen. Das kann zur Kraftquelle der Furchtlosigkeit für Menschen werden, die verfolgt und gemartert werden, und zum starken Trost für traumatisierte Kriegs- und Gewaltopfer. Davon zeugen viele persönliche Zeugnisse aus dem Partnerumfeld von „Brot für die Welt“ und dem Menschenrechtsreferat des Diakonischen Werkes der EKD.

 

Für Organisationen der humanitären Hilfe und ihre Mitarbeitenden, die speziell mit Kriegsopfern, Flüchtlingen, Überlebenden von Naturkatastrophen etc. zu tun haben, ist es darum zentral wichtig, sie nicht als Objekte, sondern als Subjekte zu behandeln und sie nicht entwürdigenden und entmündigenden Formen der Hilfe auszusetzen, sondern deren Würde als selbstbestimmte Wesen ins Zentrum des Planens und Handelns zu stellen. Maßnahmen, die weder mit der Religion oder Kultur der betroffenen Bevölkerung vereinbar sind, noch ihr Mitsprache und Mitentscheidung über die geplanten Hilfsmaßnahmen zur Rehabilitation einräumen, verbieten sich von daher.

Menschenwürde – Menschenrechte bei „Brot für die Welt“

Die Besonderheit des Ansatzes von „Brot für die Welt“ und der Diakonie Katastrophenhilfe liegt darin, dass er die Würde jedes/jeder Armen in den Mittelpunkt seiner Handlungsorientierung stellt. Damit liegt „Brot für die Welt“ nicht ganz im gegenwärtigen Mainstream europäischer kirchlicher Hilfswerke, die im Wesentlichen einen sog. ‚rights-based-approach’ verfolgen.

 

Der Menschenrechtsgedanke gibt den biblisch-theologischen Grundüberzeugungen von der Würde des Menschen in einer säkularen Sprachform Ausdruck und macht sie dadurch universal politikfähig und kommunizierbar auch mit Vertreter/innen anderer Religionen und einem dialogfähigen säkularen Humanismus. (In Zeiten, in denen die Universalität des Menschenrechtsgedankens allerdings selbst unter Kirchen und Christenmenschen wieder angefochten ist – wie gegenwärtig zunehmend in der Russisch Orthodoxen Kirche und unter christlichen Fundamentalisten in den USA – kann der Diskurs auf den zugrundeliegenden, aus dem Schöpfungsglauben abgeleiteten Würdegedanken notwendig werden und hilfreich sein!)

 

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte begreift jede Person als Träger von grundlegenden (materiellen und immateriellen) Rechten. Sie sieht die Menschenwürde dabei nur dann als geschützt an, wenn alle Menschenrechte in ihrer Unteilbarkeit umgesetzt werden. Neben den bürgerlichen und politischen Menschenrechten gehören dazu auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte: Außer der ungehinderten Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Willensbildungsprozess entspricht der Menschenwürde auch eine angemessene Teilhabe am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben. Der Rechtsansatz kann uns helfen, die unterschiedlichen menschlichen Bedürfnisse, deren Erfüllung Voraussetzung für ein würdiges Leben ist, klarer und vor allem in einer universell definierten Sprache auszudrücken. Er hilft uns, moralisch/theologisch begründete Argumentationen auf eine rechtlich legitimierte Grundlage zu stellen.

 

Menschenrechte stellen eine rechtliche Schutzfunktion für die Menschenwürde dar – im gegebenen konkreten Einzelfall, wie als Motor eines Engagements für die Gestaltung von diskriminierungsfreien, gleichen Lebensumständen und für den Einsatz gegen Ungerechtigkeit. Der Menschenrechtsansatz hilft, Situationen zu analysieren und einzuordnen, über konkrete Projektwirkungen hinaus staatliche Rahmenbedingungen zu beeinflussen, und versorgt uns mit Argumenten und Instrumenten für die Advocacy-Arbeit. Menschenrechte sind mithin ein zentrales Instrument zur gesamtgesellschaftlichen Realisierung der der Menschenwürde jedes Einzelnen innewohnenden Kraft.

Die Rechte der Menschen werden durch die Verpflichtungen der Staaten garantiert. Träger der Verpflichtungen sind aufgrund der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge in erster Linie Staaten, sowie in zweiter Linie die Staatengemeinschaft insgesamt. Für die Umsetzung der Menschenrechte ist darum zentral, dass der Staat funktioniert und auch in der Lage ist, die Rechte umzusetzen, d.h. eine angemessene Gesetzgebung zu formulieren, eine entsprechende Verwaltung einzurichten, Gesetzgebung und Verwaltung von einer unabhängigen Justiz überprüfen zu lassen und dass eine aktive Zivilgesellschaft die Einhaltung von Recht beobachtet und kritisch begleitet. Oft scheitert die Umsetzung daran, dass auf einer oder mehreren der drei Ebenen Defizite bestehen. Dies kann durch aktive Menschenrechtsarbeit herausgefordert werden. Anders liegen die Probleme, wenn der Nationalstaat nicht mehr in der Lage ist, seine Verpflichtungen umzusetzen: In verschiedenen Ländern ist kaum noch eine funktionierende staatliche Struktur zu finden. Lange Bürgerkriege oder andere Prozesse des Staatszerfalls haben zu „scheiternden Staaten“ (failing states) geführt. In diesen Ländern haben Menschen in der Regel kein staatliches Gegenüber mehr, von dem sie ihre Rechte einfordern können. Dies gilt sowohl für bürgerliche und politische wie für WSK-Rechte.

 

Wichtig in solchen Kontexten ist die Erinnerung daran, dass Menschen auch unabhängig von Staaten ein Recht auf ein würdiges Leben haben. Kirchen und ihre Werke als Träger dieses Wissens haben eine ganz besondere Schutz- und Beistandsaufgabe überall dort, wo Menschenrechte grundsätzlich nicht als Referenzrahmen anerkannt oder durchsetzbar sind, die Lebensumstände aber besonders unwürdig sind (Sudan, Somalia etc.). Der Bezug auf die Menschenrechte kann dann zwar noch helfen, Standards für Äquivalente von Rechtsstaatlichkeit bereit zu stellen, politische Macht verleiht er indes nicht mehr, und der Schutz der Würde beschränkt sich neben der internationalen Advocacyarbeit auf das Starkmachen Einzelner und der Zivilgesellschaft.

Menschenrechte in der Entwicklungszusammenarbeit und in der kirchlichen Entwicklungsarbeit

 

Ziel einer menschenrechtsorientierten Entwicklungszusammenarbeit ist es, Bedingungen zu schaffen, die es jeder Person erlauben, ihre Rechte erfolgreich einzufordern. Ein Menschenrechtsansatz in der Entwicklungszusammenarbeit stärkt die Menschenrechtsinstrumente und Kontroll- und Überwachungsinstrumente für staatliches Handeln. Überprüft werden muss, inwieweit eine Regierung versucht, mit den vorhandenen Ressourcen die Menschenrechte bestmöglich umzusetzen und dabei sicherstellt, dass es zu keinen Verletzungen durch staatliche Politikmaßnahmen kommt.

 

Ohne eine verantwortliche Regierungsführung ist Entwicklung kaum möglich. Politische Unterdrückung verhindert, dass Menschen an wichtigen Entscheidungen beteiligt sind. Fehlende Rechtssicherheit macht langfristig angelegte Investitionen in die eigene Landwirtschaft, in Kleinstbetriebe, in die Bildung der Kinder schwierig und verhindert, dass Menschen sich selbst helfen können. Nicht wenige Entwicklungsländer, insbesondere die Schwellenländer wie Indien oder Brasilien, haben auch genug Ressourcen, um die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte rasch umsetzen zu können. Ein Viertel aller Hungernden der Welt lebt allein in Indien. Das Land hat eine schnell wachsende Ober- und Mittelschicht und gewaltige Agrarüberschüsse. Dass immer noch so viele Menschen in diesem Land hungern, ist ein Ergebnis von politischer Diskriminierung und dem sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Ausschluss von Bevölkerungsgruppen. In diesen Situationen muss Entwicklungszusammenarbeit heute Menschen darin unterstützen, sich für verbesserte Rahmenbedingungen einzusetzen und ihre Regierungen zur Verantwortung zu ziehen. Von der Kraft oder Macht der Menschenwürde kann in unserem Verständnis erst dann gesprochen werden, wenn es gelingt, die Betroffenen zu befähigen, dass sie sich selbst organisieren, um ihre Interessen und Rechte zu vertreten; erst dann werden sie zu einem Machtfaktor, der in politischen Entscheidungsprozessen relevant wird.

 

Dabei ergänzt eine Menschenrechtsansatz in der Entwicklungszusammenarbeit den Kern des Selbstverständnisses der Entwicklungsarbeit von „Brot für die Welt“. Im Zentrum der Arbeit steht seit seiner Gründung das Konzept „Hilfe zur Selbsthilfe“. Der Mensch steht im Mittelpunkt aller Entwicklungsbemühungen. Menschen können nicht entwickelt werden, sie können sich nur selbst entwickeln. Die Armen sollen dazu befähigt werden, ihre Anliegen und Vorstellungen selbst zu vertreten und die notwendigen Veränderungen durchzusetzen, damit sie ein menschenwürdiges Leben führen können. Das Selbsthilfekonzept geht in diesem Zusammenhang von der Einsicht aus, dass die Veränderung der Zustände nicht vorrangig durch ausländische Hilfe, sondern vor allem durch das eigene Handeln der Betroffenen vor Ort erreicht werden kann. Deshalb arbeitet „Brot für die Welt“ konsequent mit dem Partnerprinzip: Von Anfang an hat „Brot für die Welt“ bewusst darauf verzichtet, mit den zur Verfügung stehenden Spendenmitteln in den Entwicklungsländern Entwicklungsmaßnahmen und –projekte in eigener Trägerschaft durchzuführen. Vielmehr waren die Partner, Kirchen und Nichtregierungsorganisationen, selbst Träger von diakonischen und entwicklungspolitischen Maßnahmen. „Brot für die Welt“ hat stets die Respektierung der Eigenständigkeit der kirchlichen und nichtkirchlichen Partner als ein wichtiges Prinzip der Hilfe angesehen. Nur auf Antrag von und in Abstimmung mit Partnern werden Projekte durchgeführt. Kennzeichen des Konzepts von „Brot für die Welt“ ist es, die bedürfnisorientierten Maßnahmen und die Förderung menschlicher Potentiale mit Selbsthilfeansätzen durch einen Menschenrechtsansatz zu ergänzen. Dieser integrierte Ansatz, der Bedürfnisse mit Potentialen und Rechten verknüpft, greift damit das christliche Gebot der Barmherzigkeit auf und qualifiziert und ergänzt seitherige Empowerment-Ansätze durch die Verwendung des menschenrechtlichen Instrumentariums.

 

Es entspricht den Erfahrungen von „Brot für die Welt“, dass Menschenrechte nur in dem Maße verwirklicht werden können, als es Personen oder Organisationen gibt, die diese Rechte einfordern oder erkämpfen. Die Kirchen und ihre Werke sowie unsere ökumenischen Partner weltweit sind gefragt, als Teil der Zivilgesellschaft und in Kooperation mit Allianzen und Netzwerken aktive Beiträge zu leisten. Als besonders wirksame politische Instrumente können hierzu Kampagnen zur Durchsetzung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten dienen, z.B. dem Menschenrecht auf Wasser oder dem Recht auf Gesundheit bei der Versorgung mit HIV/Aids-Medikamenten.

Globalisierung und Menschenrechtsschutz

Der ökonomische Globalisierungsprozess geht Hand in Hand mit einem Bedeutungsgewinn neuer Akteure. Sowohl private Firmen, wie auch zwischenstaatliche Verträge, wie Handels- und Investitionsschutzabkommen habe einen enormen Bedeutungsgewinn erfahren. Diese Akteure unterliegen bisher keiner menschenrechtlichen Rechenschaftspflicht, und sofern von ihnen die Würde von Menschen missachtet wird, fehlt es an Instrumenten, sie dafür in politische Verantwortung zu nehmen. „Brot für die Welt“ setzt sich deshalb mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren seit Jahren für eine entsprechende Erweiterung des Menschenrechtsschutzsystems ein.1 Es muss das Prinzip gelten, dass die Verantwortung eines Staates für die Menschenrechte nicht an den Staatsgrenzen endet. Es entspricht unserem allgemeinen Menschenrechtsverständnis, dass die Menschenrechte das staatliche Handeln insgesamt binden, gleich ob es im eigenen Land oder anderswo zum Tragen kommt. Menschenrechte stellen dabei Mindeststandards für jegliches staatliches Verhalten dar, bei dem Staaten jenseits ihrer Grenzen Verantwortungen für Entwicklungen haben, sei es durch eigene Maßnahmen oder durch Aktivitäten privater Akteure, aber auch wenn sie internationale Verträge aushandeln und ratifizieren (extraterritoriale Staatenpflichten). Zivilgesellschaftliche Akteure haben in den letzten Jahre begonnen, Fälle zu dokumentieren, die deutlich machen, dass in Zeiten der Globalisierung eine Weiterung des Menschenrechtsverständnisses notwendig ist, um einen nach wie vor einen angemessenen Schutz gewährleisten zu können.2

 

Eng verbunden mit der Zahl der internen Konflikte und Bürgerkriege ist die Zahl der Ressourcenkonflikte. Gerade im Zusammenhang mit der Nutzung bzw. Ausbeutung extraktiver Ressourcen kommt es zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen. Zwangsumsiedlungen und Landvertreibungen bei Bergbauvorhaben, Konflikte um den Zugang zu Wasserressourcen, Verschmutzungen durch landwirtschaftliche Nutzflächen durch Leckagen an Erdölpipelines, Übergriffe von privaten Sicherheitskräften auf Menschen, die in der Nähe von Bergbaustätten leben, sind nur einige Beispiele für Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Ausbeutung von Ressourcen. Manche Bürgerkriege oder Waffenkäufe werden mit den Erlösen aus dem Ressourcenabbau teilfinanziert, so dass man in einigen Ländern von einem regelrechten Ressourcenflucht sprechen kann, wenn es schwierig wird, „normale“ wirtschaftliche Aktivitäten durchzuführen, da die Volkswirtschaft bzw. die Bürgerkriegsökonomie von der schnellen Ausbeutung von Rohstoffen abhängig geworden ist. In solchen Situationen ist es besonders wichtig, diejenigen Menschen und Initiativen zu fördern und zu unterstützen, die versuchen, Menschenrechte zu verteidigen. Wenn rechtsstaatlicher Schutz weitgehend fehlt, ist die zivilgesellschaftliche Dokumentation von Problemen ein erster wichtiger Schritt. Diejenigen, die sich an einer solchen Dokumentation beteiligen, müssen durch internationale Aufmerksamkeit geschützt werden. Zusätzlich muss es gelingen, diejenigen Akteure, die von der Kriegssituation ökonomisch profitieren, zu kontrollieren und langfristig zur Achtung der Menschenrechte zu verpflichten.

 

Die hier beschriebenen Herausforderungen sind neu. Die Antworten darauf sind nicht immer einfach und vielfach sind Suchbewegungen nötig, um angemessene Antworten zu finden und zu lernen, wie zentrale Akteure kontrolliert werden können. Es gilt auf alle Fälle das Prinzip: In einer globalisierten Welt ist ein „nicht globalisierter“ Menschenrechtsansatz nicht länger tragfähig. Die Verteidigung der Menschenwürde wird nur erfolgreich sein, wenn es gelingt, gute Antworten auf diese Herausforderung zu finden.

 

Pfarrerin Cornelia Füllkrug-Weitzel, Februar 2007

1 . Bereits im Jahr 2001 hatte „Brot für die Welt“ zusammen mit dem Evangelischen Entwicklungsdienst und der internationalen Menschenrechtsorganisation FIAN einen Bericht über die extraterritorialen Staatenpflichten Deutschland vor dem UN-Komitee eingereicht, dass für die Überwachung des Menschenrechtspaktes für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte zuständig ist. „Brot für die Welt“ , EED, FIAN: “Parallelbericht: Deutschlands Erfüllung seiner internationalen Verpflichtungen gemäß dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Schwerpunkt: Das Recht auf angemessene Ernährung“, 2001 (http://www.fian.de/fian/downloads/pdf/ran/2001_parallelbericht_deutsch.pdf)

 

2 . vgl: „Brot für die Welt“ , EED, FIAN: “Sieben Fallstudien über die Auswirkungen deutscher Politik auf die Menschenrechte in den Ländern des Südens”, 2005