Ein Tropfen auf den heißen Stein. Oder: Der Tod wartet nicht bis alle Griffel gespitzt sind. Zur Ankunft von 150 Flüchtlingen aus Syrien in Friedland. Cornelia Füllkrug-Weitzel, 11.9.2013
Deutschland hat im März entschieden, 5000 Syrien-Flüchtlingen aufzunehmen. Heute kommen die ersten ca 110 davon in Friedland an. An der Reihe von Kriterien, denen sie entsprechen müssen, scheitern viele Antragssteller – ein Grund für die extrem langsame Umsetzung des Beschlusses. Ca. 15.00 bis 18.000 Flüchtlinge haben darum ihr Glück auf eigene Faust gesucht, d.h. auf dem Weg des ‚normalen‘ Asylbewerberverfahrens. Im Unterschied zu den ‚Kontingent‘-Flüchtlingen dürfen sie nicht ab sofort arbeiten und haben keinen für 2 Jahre gesicherten Aufenthaltsstatus.
Mindestens 6, 5 Millionen Syrer, ein Drittel der Bevölkerung, sind auf der Flucht vor Bomben, Panzern, gezielten Hinrichtungen durch die Kriegspartei, die sie jeweils als ‚Feind‘ betrachtet oder vor Strafaktionen gegen ganze Quartiere, in denen sich die ‚falschen‘ angeblich verstecken. Syriens arme Nachbarländer haben über 2,5 Mio von ihnen aufgenommen. Das sind 97 % aller über die Landesgrenzen Geflohenen. Die selber armen Gastgeberländer Jordanien und Libanon drohen jetzt schon unter der Last zu kollabieren, aber täglich kommen noch 5.000 Flüchtlinge neu dazu – so viele wie Deutschland insgesamt aufnimmt! Deutschland setzt in der EU mit seiner Aufnahmebereitschaft ein positives Zeichen. Aber die Zahlen sind unangemessen. Der UN-Flüchtlingskommissar erwartet von Europa, dass es unbegrenzt Flüchtlinge aufnimmt und nicht Tropfen auf den heißen Stein gießt.
Sicher kann Europa nicht das Flüchtlingsproblem Syriens lösen. Aber in Wochen, in denen Viele in Europa den Gedanken der ‚Humanität‘ als Begründung für militärische Interventionen bemühen, sollten wir doch erst einmal ganz einfach mit einer Praxis der Humanität anfangen, die verglichen zu militärischem Eingreifen zudem noch sehr billig ist: 1. Bessere Finanzausstattung der UN Flüchtlingsorganisation zur Versorgung der Flüchtlinge in der Region. Bisher hat der UNHCR erst 1/3 der gemachten Zusagen erhalten. 2. Eine großzügige und unbürokratische europäische Regelung für den vorübergehenden Aufenthalt einer deutlich größeren Zahl syrischer Flüchtlinge in Europa für die Dauer des Krieges und seiner Nachwehen. 3. Großzügiger Familiennachzug. Schön, dass Bundesminister Niebel jetzt auch schon fordert, was durch die Kirchen und Wohlfahrtsverbände und einige Außenpolitiker schon vor einem Jahr angeschoben wurde und in SPD-geführten Bundesländern schon Praxis ist: zusätzlich zum bisherigen Kontingent Familienangehörigen hier lebender Syrer Aufenthalt zu ermöglichen. Gut, dass Niebel – nach Innenminister Friedrich nun auch die CDU/CSU- und FDP-geführten Länder darauf aufmerksam macht, dass sie ein Legitimationsproblem bekommen, wenn sie nicht wenigstens, last minute‘ auch noch auf diesen schon längst fahrenden Zug springen (was einige von ihnen ja auch schon begriffen hatten).
Auf der Lokomotive der Humanität zu sitzen, sähe angesichts der gewaltigen Zahl von Syrern, die dringend vorübergehend Schutz brauchen, freilich anders aus: sich entschieden dafür zu engagieren, dass Deutschland eine sehr großzügige und seiner großen Finanzkraft angemessene unbürokratische Aufnahmeregelung findet und damit ein wirklich gutes Vorbild in Europa setzt und nicht ein ‚bisschen‘ Vorbild. Frei eingereiste Flüchtlinge müssen dabei in die Regelungen mit einbezogen werden und die Kriterien für den Familiennachzug dürfen nicht so sein, dass nur reiche Familien sie erfüllen können.
Der Tod wartet nicht, bis alle Griffel gespitzt sind und bis die Luft über deutschen Stammtischen so mit dem humanitären Geist getränkt ist, dass man mit einer solchen Regelung Wahlen gewinnen kann. Dem rassistischen Gedankengut keinen Platz in der Mitte der Gesellschaft einzuräumen, ist darum ebenso wichtig und gehört angepackt!