Im September 2010 brennen in Mosambiks Hauptstadt Maputo die Barrikaden. Die Menschen sind empört über drastische Erhöhungen der Preise für Lebensmittel, Treibstoff und Strom. Die Polizei schlägt den Aufstand gewaltsam nieder, mehrere Menschen kommen ums Leben, auch Kinder. Viele Menschen werden verletzt. Die Revolte in Maputos Armenvierteln ist nur eine von vielen, die mit der Nahrungsmittelkrise und dem dahinter liegenden Problem der Landnutzung zu tun haben. In Madagaskar und in Haiti führten solche Konflikte zum Sturz von Regierungen.
Hunger ist eine Schande für alle Länder und er kann zu gewaltsamen Konflikten führen. Obwohl das erste Milleniumsziel der Vereinten Nationen die Halbierung des Anteils der Hungernden bis 2015 vorsieht, sind heute nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) immer noch 925 Millionen Menschen von Hunger betroffen. Das sind mehr Menschen als vor der Finanz- und Wirtschaftskrise. Von der angestrebten Ernährungssicherheit sind wir weit entfernt! Während der Krise explodierten die Preise für Nahrungsmittel, jetzt steigen sie erneut – auch aufgrund von Spekulationen mit Nahrungsmitteln. Die Aufstände werden zwar vor allem in Städten sichtbar, die meisten Hungernden, nämlich 80%, leben aber in ländlichen Gebieten.
Die Ernährungssicherheit von Kleinbauern und indigenen Völkern hängt direkt vom Zugang zu Land ab. Doch in den letzten Jahren beobachten wir ein verstärktes „Landgrabbing“: Immer mehr Entwicklungsländer verpachten oder verkaufen riesige Ländereien an wohlhabende Staaten, transnationale Konzerne und Investmentgesellschaften, die sich auf diese Weise in bisher nicht gekanntem Ausmaß Ländereien sichern. Allein zwischen Oktober 2008 und Juni 2009 wurde einem Bericht der Weltbank zufolge über 46 Millionen Hektar Land verhandelt. Auf diesen Feldern werden dann nicht Nahrungsmittel für die einheimische Bevölkerung, sondern Agrarprodukte für den Export sowie Tierfutter und Energiepflanzen zur Produktion von Agrotreibstoffen angebaut. Damit ist Land noch stärker als bisher zum Gegenstand von Konflikten geworden. Die von „Landgrabbing“ Betroffenen werden oft gewaltsam vertrieben oder nicht angemessen entschädigt. Die Konflikte um Nahrungsmittel und Land führen häufig zu massiven Menschenrechtsverletzungen.
Ernährungsunsicherheit kann zu Gewalt führen. Aber umgekehrt ist auch richtig: Viele Menschen sind von Hunger betroffen, der von politischer Gewalt mit verursacht wird: In Ländern, die über lange Zeit hinweg von Katastrophen und Kriegen betroffen sind, hungern drei Mal so viele Menschen wie in anderen Entwicklungsländern. Felder und Straßen sind zerstört, das Vieh getötet, Geräte und Saatgut fehlen, der Handel kommt zum Erliegen, Arbeitskräfte fehlen, viele Menschen sind geflohen oder vertrieben, es gibt keine Sicherheit für Investitionen in die Landwirtschaft. Länder mit gewaltsamen Konflikten sind von Landgrabbing besonders betroffen, Vertriebene und Flüchtlinge verlieren auch noch ihr Land
Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier de Schutter, erläutert in seinem neuen Bericht nicht nur das Problem des Landgrabbing, sondern auch die bestehenden Rechte, auf die sich Betroffene berufen können: Jeder Mensch hat ein Recht auf angemessene Ernährung und auf den dafür notwendigen Zugang zu Land. Marktwirtschaftliche Ansätze, bei denen Land privatisiert wird, haben das Problem häufig verschärft, stattdessen sollten kollektive Landnutzungsrechte gestärkt werden. Wenn Hunger auch auf eine besonders ungerechte Landverteilung zurückzuführen ist, sind Staaten zu Landreformen verpflichtet. Eine Stärkung klein-bäuerlicher Landwirtschaft reduziert nicht nur Hunger und Armut, sondern ist auch umweltverträglicher, produktiver und stabiler.
Hunger ist kein Schicksal. Ursachen und Notwendigkeiten sind bekannt, verantwortlich sind auch wir: Wir essen importierte Nahrungsmittel und vor allem Fleisch, für das Futter importiert wird, wir tanken auch Agro-Treibstoffe und erhöhen so Preise für Nahrungsmittel und den Druck auf das Land. Wir beeinflussen die internationalen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie die internationale Zusammenarbeit, die kleinbäuerliche Landwirtschaft sträflich vernachlässigt hat. Außerdem verschärft der von uns mit verursachte Klimawandel die Ernährungsunsicherheit in immer größerem Maße.
Hungernde sind keine Bittsteller, sondern sie haben ein Recht auf angemessene Ernährung und auf das dafür notwendige Land. Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, dass Nutzungsrechte gesichert werden und Menschen nicht vertrieben werden. Wer sich gegen Landgrabbing einsetzt, darf nicht kriminalisiert werden. Traditionelle Nutzungssysteme, die häufig Land als öffentliches Gut behandeln und kollektive Nutzungsrechte beinhalten, müssen insbesondere vor privaten Investoren geschützt werden, für die klare Kriterien gelten müssen. Bei Armut durch extrem ungerechte Landverteilung sind Landreformen und darauf aufbauende ländliche Entwicklungsprogramme unabdingbar. Landinvestitionen in anderen Ländern müssen menschenrechtliche Verpflichtungen erfüllen. Es ist gut, dass nun unter dem Dach der FAO Freiwillige Leitlinien zur Landnutzung erarbeitet werden. Dieser Prozess benötigt unsere Unterstützung.