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Warum ist Brot für die Welt im Advent?

Dezember 2002

Warum ist Brot für die Welt im Advent?

1. Als 1959 die ‚Aktion Brot für die Welt’ von allen Landes- und Freikirchen gemeinsam aus der Taufe gehoben wurde, war der Wiederaufbau weitgehend abgeschlossen und der ‚Konsumrausch’ hatte die westdeutsche Gesellschaft erfasst. Viele Christinnen und Christen – und besonders im Umfeld des Hilfswerkes der EKD (dem nachmaligen Diakonischen Werk) sahen mit Sorge, wie die bundesdeutsche Gesellschaft sich zum Tanz um das ‚Goldene Kalb’ statt um die Krippe formierte. Dabei war ihnen sehr bewusst, wie unselbstverständlich die rasche ökonomische Erholung des Westens Deutschlands war: Mit dem Marschallplan, der umfangreiche Investitionen der Siegermacht USA ermöglichte und dem Londoner Schuldenabkommen von 1951, das die Bundesrepublik von ihrer Auslandsschuldenlast befreite, hatte die westdeutsche Wirtschaft die denkbar günstigsten Rahmenbedingungen für den wirtschaftlichen Aufschwung erhalten. Viele vom Krieg zerstörte und vor allem die vielen überschuldeten Ländern wünschen sich vergeblich so eine Chance.
Gleichzeitig erreichte Ende der Fünfziger die Dekolonisation ihren Höhepunkt: Erstmals drangen in diesem Zusammenhang in großem Umfang Bilder und Nachrichten über das Ausmaß der Armut im Süden der Welt an die bundesdeutsche Öffentlichkeit. Sie machten deutlich, dass es anderen Menschen auf der Erde weit schlimmer geht als den Deutschen. Und dies galt selbst für die – dank hoher Reparationsleistungen an die Siegermacht UdSSR – schlechteren Verhältnisse in der DDR und trieb die Christen dort ebenso um wie im Westen: Schon die Ungleichzeitigkeit des Wiederaufbaus in Ost und West weckte einen Hilfsimpuls und warf Fragen nach den sog. externen Faktoren und nach der Gerechtigkeit auf. Erst recht galt dies nun für die neu ins Bewusstsein tretende Nord-Süd-Kluft. Welche Verantwortung und Aufgabe hatten Deutsche und hatten Christen in diesem Kontext und welche wollten sie wahrnehmen?1
Man suchte mit der Aktion 1959ein Zeichen der Dankbarkeit für das eigene Wohlergehen und für die erfahrene weltweite Hilfe und Großherzigkeit zu setzen. Die Adventsaktion 1959 sollte daran erinnern, dass der wachsende Reichtum in Deutschland ebenso wenig unser eigener Verdienst ist, wie die Armut im Süden selbst verschuldet ist: beide haben mit ungleicher Verteilung von Gütern zu tun, von der wir profitieren. Sie sollte aber auch ein Zeichen des versöhnenden Handelns der westlichen Kirchen angesichts ihrer Schuld im Kontext der Kolonialgeschichte2 setzen. Durch Fürbitte und Dankopfer wollte man die Gemeinden in die Gemeinschaft der Solidarität mit den Hungernden der Welt stellen und in die Mitverantwortung für die Nöte der Welt rufen.
Innehalten und Umdenken, Dank, Buße und Neuaufbruch durch solidarisches Teilen der Güter der Welt – diese Motive und Ziele der Aktion ‚Brot für die Welt’ wiesen auf die Adventszeit als Hauptaktionszeitraum. Und weisen es noch immer, denn Anlässe und Motive der Aktion bestehen auch heute noch fort.
2. Zum anderen stellt die Adventsbotschaft Motivation und Glaubensbasis der Arbeit von ‚Brot für die Welt’ dar. Durch die Barmherzigkeit Gottes „wird uns das Licht aus der Höhe besuchen, damit es denen erscheint, die in Finsternis und Schatten des Todes sitzen und unsere Füße auf den Weg des Friedens lenkt“ (Lk.1,78b-79). Es waren Hirten auf einem Feld bei Betlehem Efrata, einer der kleinen und unbedeutenden Städte des Reiches (Micha 5,1), an denen Macht und Reichtum gewöhnlich vorbeilaufen, denen dieses Licht in finsterer Nacht als erstes erschien. Arme Menschen, der Hitze des Tages und der Kälte der Nacht schutzlos ausgeliefert, ohne sauberes Wasser, ausgeschlossen von Bildung und Gesundheitswesen. Menschen ohne Perspektive über den Tag hinaus, ohne Lobby und Einfluss. Und damit beginnt die frohe Botschaft bereits wahr zu werden: (Jes.9, 5-6). Gott sieht sie und hört ihr Seufzen und Klagen, auf sie wird in dem Reich des neugeborenen Königs der Lichtkegel der Aufmerksamkeit ruhen, er lässt sie an seine Krippe rufen, sie sollen seine Günstlinge sein. Dieser König wird seinen Reichtum und seine Macht nicht auf ihrer Rechtlosigkeit und nicht auf Ungerechtigkeit ihnen gegenüber aufbauen. Ihre Nacht wird nicht ewig sein, sie ist schon am Schwinden. Der Advent zündet das Licht der Hoffnung für die Elenden an: in ihrer Mitte wird der neue Herrscher der Welt geboren, unter ihnen beginnt der neue Himmel und die neue Erde Gestalt anzunehmen. Das ist die frohe Botschaft!
„Wenn Sie von der frohen Botschaft für die Armen und Ausgegrenzten reden, dann behaupten Sie doch, Jesus habe nur einer kleinen randständigen Gruppe Befreiung und Heil gebracht? Aber unser Evangelium gilt doch nicht nur wenigen Auserlesenen!“ In unseren Augen, von unserer Warte und Perspektive aus, wirken die Hirten auf dem nächtlichen Felde wie eine Randgruppe und sie sind ausgegrenzt. Aber sie repräsentieren mit ihren Lebensverhältnissen die Mehrheit der Menschen auf dieser Erde: Sie stehen für die 4,4 Milliarden Menschen, die ihr Dasein mit bis zu zwei Dollar am Tag fristen. Sie repräsentieren die 14 Millionen Menschen, die im vergangenen Advent im Südlichen Afrika von einer der schwersten Hungersnöte getroffen waren und nicht wussten, ob und wie sie Weihnachten noch erleben würden – ohne dass die Welt davon Notiz nahm. Sie kennen die Finsternis, wie die über 40 Millionen HIV-Aids-Infizierten weltweit, 29 Millionen davon in Afrika, die ausgeschlossen aus jeder Gemeinschaft und ohne irgendwelche Unterstützung auf den Tod warten. Keiner will sie gekannt haben. Die Hirten sind sogar noch besser dran als über 100 Millionen landlose Bauern mit ihren Familien in Brasilien, die von ihrem Grund und Boden vertrieben wurden und über Jahre durch das Land wandern ohne Heimat. Besser als das Millionenheer der Straßenkinder in Manila, Bukarest, Mexiko, Moskau und all den anderen Metropolen dieser Erde, täglicher Gewalt und ständigem Überlebenskampf ausgesetzt. Diesen Millionen allen verkündigen die Engel, dass ihre Zeit gekommen ist, weil Gottes Zeit gekommen ist. Kein Dunkel kann sie mehr halten. Wir können ihre und unsere Realität in einem neuen Licht sehen.
Nach den Rezepten und Gesetzen dieser Welt gibt es kaum Wege aus dieser Finsternis. Die Globalisierung polarisiert die Welt noch mehr in erfolgreiche Marktteilnehmer und Staaten, Regionen, Gegenden, Menschen, die dort nichts zu suchen, weil nichts zu bieten haben – außer ihrer nackten Haut. Und so geraten neuerdings immer mehr Menschen wieder in Sklaverei: Kinder als Soldaten oder Arbeitsklaven und Frauen als Zwangsprostitutierte. Es gibt keinen Grund für die Annahme, die Welt werde in einer steten Fortschrittsbewegung immer humaner, friedlicher etc. und der Süden ‚entwickele’ sich stetig. Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und –schuld, doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. „Wir haben seinen Stern gesehen!“ – wer das sagen kann, lebt ein anderes Leben. Diesen Stern, diese Botschaft: „Gott hat Euch nicht vergessen! Er liebt euch!“ will die Aktion Brot für die Welt den Armen und Ausgegrenzten aufscheinen lassen, indem sie in Deutschland zu zeichenhafter Solidarität zwischen uns Reichen und den Armen und zum Teilen von Ressourcen und Liebe einlädt, weil Gott mit uns teilt.
Und diese Zeichen werden sehr wohl verstanden. Ich denke an eine Frau die in einem Verschlag am Rande eines Slums in Harare auf einem Haufen Lumpen dem Aids-Tod entgegen dämmert. „Dass also die Welt mich wahr nimmt, dass mein Tod jemanden in der Welt interessiert !“ hat sie zu Tränen des Glücks gerührt, als wir sie besuchten. Auch wenn unsere Partnerorganisation in Zimbabwe, ihr kein Medikament mitbringen konnte, das die Wende zum Leben bringt. Aber sie erfuhr von Stund an in den letzten Wochen ihres Lebens wenigstens tägliche Zuwendung und Liebe, sowie Pflege, ein wenig Nahrung und gemeinsames Gebet. Sie durfte erfahren, dass sie von Gott geliebt und nicht allein gelassen und aufgegeben ist, nachdem ihre Eltern sie nach dem Aids-Test auf die Straße geworfen hatten und ihre Gemeinde sie exkommunizierte.
Der Advent korrigiert unsere Weltbilder. Im Advent stellt Gott Andere als die Schönen, Gesunden, Reichen und Einflussreichen, die in der täglichen Werbung als Norm dargestellt werden, ins ‚Rampenlicht’ der Heilsgeschichte. Und er lässt Schatten auf die Tatsache fallen, dass in unserer Welt z.B. 10 Milliardäre – zehn menschlichen Wesen ! -, über ein Nettovermögen verfügen können, das größer ist, als die Summe der Sozialprodukte der 48 ärmsten Länder der Erde. Keiner kann uns mehr erzählen, dass wir das als normal oder auch nur unabänderlich hinnehmen müssen.
Wer dem Stern folgt, dem erscheint die Welt im Lichte Gottes: Plötzlich erkennen wir, dass wir uns an den Rand gestellt haben mit unserem ungeheuren Wohlstand. Und wir hören im Advent die Einladung, uns vom Rand zur Mitte zu bewegen, zur Krippe, wo wir gemeinsam mit den Hirten niederknien und uns in Augenhöhe und Gemeinschaft mit ihnen wiederfinden. Wohin wir unsere Güter und Gaben tragen, die dort genauso viel wert sind, wie die Gaben der Armen. Im Advent richtet Gott unsere skandalös verkehrte Welt, richtet sie neu ein und richtet unsere Füße auf den richtigen Weg: den Weg des Friedens und der Gerechtigkeit. Auch das will die Aktion Brot für die Welt noch heute ver