Einführung in die Fachtagung „Wegbereiter des Wandels“ 25.11.2011 in Dortmund
Von wem sprechen wir eigentlich?
„Wegbereiter des Wandels – Das entwicklungspolitische Potential internationaler Studierender“ – werfen wir zunächst einen Blick darauf, über wen wir eigentlich reden, wenn wir von „internationalen Studierenden“ sprechen.
In den Statistiken wird bei den Studierenden mit ausländischem Pass meist differenziert zwischen so genannten „Bildungsinländer/innen“ und „Bildungsausländer/innen“. „Bildungsinländer/innen“ sind bekanntlich ausländische Studierende, die ihre Studienberechtigung in Deutschland erworben haben, also junge Leute, die zumeist schon viele Jahre in Deutschland leben. In Deutschland – wir haben gerade „50 Jahre Anwerbeabkommen“ gefeiert – gehören etwas mehr als ein Drittel aller ausländischen Studierenden zur Gruppe der Bildungsinländer/innen.
Mit dem Studienbegleitprogramm (STUBE Programm) von Brot für die Welt, das eingangs ja bereits erwähnt wurde, nehmen wir aber eine andere Gruppe in den Blick: es sind die Studierenden aus den Ländern des Südens und des Ostens, mit denen „Brot für die Welt“ auch im Rahmen der Projektarbeit zusammenarbeitet. Diese jungen Leute gehören zur Gruppe der „Bildungsausländer/innen“. Und innerhalb dieser Gruppe wendet sich unser STUBE Angebot an die so genannten „free mover“. Das sind Bildungsausländer/innen, die ihren Studienaufenthalt in Deutschland selbst organisiert haben und kein Stipendium erhalten. Und dieser Personenkreis macht den größten Teil dieser Gruppe aus (rund 80%).
In Deutschland kommt derzeit die bei weitem größte Gruppe ausländischer Studierender aus China, gefolgt von der Russischen Föderation und Bulgarien. Im Jahr 2010 stellte sich die Rangfolge nach Herkunftsregion folgendermaßen dar: Asien (33%), Osteuropa (32%), Westeuropa (17%), Afrika (11%) und schließlich Amerika (7%, einschließlich Lateinamerika).
Zur Situation internationaler Studierender in Deutschland
Nun aber zur Situation internationaler Studierender in Deutschland und Europa: Die gute Nachricht ist: Hochschuldeutschland wird wieder internationaler! Nachdem sich einige Jahre lang weniger ausländische Studierende für ein Studium in Deutschland entschieden haben, nimmt die Zahl seit 2008 wieder zu (2011: 252.000). Jeder neunte Student hat somit einen ausländischen Pass.
Deutschland schneidet im europäischen Vergleich damit sehr gut ab. Nach Großbritannien und vor Frankreich ist es das Land mit der zweitgrößten Zahl ausländischer Studierender in Europa. Und auch weltweit können wir uns sehen lassen: Neben Australien und Großbritannien zählt Deutschland zu den Staaten mit dem höchsten Anteil an ausländischen Studierenden.
Die schlechte Nachricht ist – um es vorsichtig zu sagen: Dieses Potential kommt nicht immer optimal zur Entfaltung. So hat bereits eine 2005 veröffentlichte Untersuchung (der Hochschul Informations System GmbH –HIS) zum Studienverlauf im Ausländerstudium hohe „Schwundquoten“ aufgezeigt. Neuesten Daten (HIS) zufolge bricht nahezu jeder zweite ausländische Studierende an deutschen Hochschulen das Studium ab!
Wichtige Gründe für den Erfolg oder Misserfolg internationaler Studierender sind natürlich fachliches Grundwissen und Methodenwissen. Sehr wichtige Faktoren sind aber (HIS zufolge) auch Deutschkenntnisse, selbständige Studiengestaltung und – wer hätte das gedacht – Integration. In allen diesen Bereichen schneiden Studierende aus dem Ausland schlechter ab als deutsche Studierende.
Besonders gravierend ist dies natürlich im Bereich des Sprachwissens. Wenn man im Studienbetrieb an deutschen Universitäten und Fachhochschulen Erfolg haben möchte, muss man nicht nur verstehen können, sondern auch reden und schreiben können. Es ist alarmierend, dass zum Beispiel nur rund ein Viertel aller Studierender aus ostasiatischen Ländern angibt, in Seminardiskussionen gut reden zu können. Über ein Drittel gibt an, dies nur schlecht zu können. Problemanzeige: Diese Situation verbessert sich erst ab dem 5./6. Semester langsam bessert. Wie viele Studierende haben bis dahin durchgehalten?
Bedenklicher noch finde ich die Ergebnisse zu den Integrationsproblemen ausländischer Studierender: Knapp die Hälfte aller Bildungsausländer/innen beklagt den Kontaktmangel zu deutschen Studierenden und dies auch noch im 9. und 10. Semester! Ich finde es besonders schockierend, dass insgesamt 14% der jungen Leute sagen, dass sie weder mit deutschen Kommilitonen noch mit ihren eigenen Landsleuten regelmäßig Gesprächskontakt haben.
In ihrer Konsequenz führen diese Daten m.E. „zwangsläufig“ zu der Feststellung, dass ausländische Studierende unbedingt Begleitprogramme während ihres Studiums brauchen. Genau hier setzt STUBE an – wenngleich das Programm eine viel weitreichendere Zielsetzung hat. Wie eingangs erwähnt, dient es ja vielmehr dazu, internationale Studierende aus Ländern des Südens und des Ostens in entwicklungspolitischen Fragen aus- und fortzubilden und sie darin zu unterstützen, dieses Potential zur Entfaltung zu bringen.
Das entwicklungspolitische Potential internationaler Studierender
Aus meiner Sicht schlummert in den internationalen Studierenden ein vielfältiges entwicklungspolitisches Potential (wobei es in vielen Fällen ja Gott sei Dank nicht mehr schlummert, sondern längst zur Geltung kommt). Worin genau?
- Studierende engagieren sich beispielsweise für entwicklungspolitische Themen, solange sie zum Studium in Deutschland leben. Sie können zum Beispiel ihr im Rahmen von STUBE Seminaren erworbenes Wissen weitergeben, indem sie zu Multiplikator/innen werden. Wir nennen diese Studierenden darum auch „Botschafter/innen für Entwicklung“, denn die STUBE-Studierenden werden oft in Schulen, Kirchengemeinden oder im Rahmen von entwicklungsbezogenen Initiativen aktiv. Aber mehr als das: in ihrer Rolle als Botschafter/innen können sie auch daran mitwirken, kosmopolitische Einstellungen und Verständnis für weltweite Zusammenhänge zu schaffen. Das Theaterstück „Steh auf“, das Ihnen heute Nachmittag Studierende der STUBE Ost präsentieren werden, ist ein konkretes Beispiel hierfür.
[Exkurs:] Erlauben Sie mir an dieser Stelle noch eine kritische Bemerkung zum Thema „Internationalisierung der Hochschulen“: Aus meiner Sicht verfolgen die Anstrengungen hier vor allem die Ziele der Harmonisierung von Bildungsstandards und die Internationalisierung der Studierenden. Was aber vielfach fehlt ist eine Internationalisierung der Inhalte und Curricula! Es braucht eine grundlegende Reorientierung des Bildungsverständnisses in Richtung auf Globales Lernen und eine Ausrichtung auf die Gegebenheiten unserer zusammenwachsenden Welt. – Das kann im Rahmen dieses Vortrags aber leider nur eine Randbemerkung sein!
- Natürlich hoffen wir, dass viele der internationalen Studierenden in Deutschland in ihre Heimatregionen oder –länder zurückkehren. Bildung ist ein zentrales Element der Armutsbekämpfung und ein Motor für Entwicklung. Junge Menschen, die an deutschen Unis ausgebildet wurden, werden in ihren Heimatländern zumeist dringend gebraucht. Brot für die Welt engagiert sich in vielfältiger Weise für Bildung – vor allem natürlich direkt in den Ländern des globalen Südens.
Hierbei liegt unser Fokus auf der Aus- und Fortbildung von Fachkräften speziell kirchlicher Partnerorganisationen. In diesem Zusammenhang seien auch unsere Stipendienprogramme erwähnt, die sich an Fachkräfte im Süden und Osten richten. Auch die Bildungsstrategie des BMZ, über die uns Herr Dr. Kitschelt gleich einiges sagen wird, bringt das zum Ausdruck: Hochschulabsolvent/innen werden zu Recht als entscheidende change agents in den Entwicklungsprozessen der Partnerländer benannt und es wird gefordert, sie für die Entwicklung ihrer Heimatländer besser „nutzbar“ zu machen. Aus den Reihen unserer ehemaligen STUBE-Studierender gibt es eine Vielzahl von Beispielen dafür, dass dies geglückt ist. Herrn Dr. Tambo, der am Workshop zu Brain Circulation mitwirken wird, möchte ich gerne stellvertretend für diesen Personenkreis hier begrüßen.
- Was aber, wenn internationale Studierende sich gegen eine Rückkehr – oder zumindest gegen eine sofortige Rückkehr – in ihr Heimatland entscheiden? Ist dann ihr entwicklungspolitisches Potential verspielt? – In den letzten Jahren galt viel Aufmerksamkeit der Frage der Rücküberweisungen von Migrant/innen in ihre Heimatländer. Im vergangenen Jahr wurde die Gesamtsumme der Rücküberweisungen weltweit auf unglaubliche 440 Milliarden geschätzt. Die Wirtschaft vieler Länder wie zum Beispiel Tadschikistan, Tonga, Lesotho, Nepal oder Moldawien wird in so hohem Maße von diesen Geldern gespeist, dass man wohl mit Fug und Recht behaupten kann, dass das Ausbleiben fatale Auswirkungen auf diese Länder hätte.
Zu denken ist hierbei auch an die Rolle, die ehemalige Studierende in Diasporagruppen spielen: Viele der im Norden lebenden Migrant/innen haben sich in Organisationen zusammen geschlossen. Diese engagieren sich häufig bei der Verbesserung der sozialen Infrastruktur ihrer Herkunftsländer: Sie bauen Wasser- und Abwasserleitungen, errichten Gesundheitszentren, Schulen und Berufsschulen, kaufen Medikamente oder kümmern sich um die Energieversorgung in ihren Dörfern. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die im Norden lebenden Migrant/innen kennen die gesellschaftlichen und politischen Strukturen ihrer Heimat, sie haben Kontakte zu Entscheidungsträgern aus Kommunen, Institutionen und Organisationen in ihrem Land. Sprache, Traditionen und Kultur stellen für sie keine Barriere dar, sie kennen das Terrain, auf dem sie sich bewegen – sowohl in ihrer neuen Heimat Deutschland als auch in ihrer alten Heimat.
Zirkuläre Migration
In den letzten Jahren – zuletzt auch durch die Diskussion über den Fachkräftemangel in Deutschland angeregt – wurde viel über das Konzept der zirkulären Migration nachgedacht. Noch gibt es ja keine allgemein verabschiedete offizielle Definition – und auch kein EU-weit abgestimmtes Verfahren hierfür. Die Europäische Kommission versteht zirkuläre Migration als mehrfache Wanderung zwischen Herkunfts- und Aufnahmeland, etwa im Rahmen einer befristeten Beschäftigung von Arbeitnehmer/innen.
Aus Sicht der Kommission liegt der Nutzen zirkulärer Wanderungen vor allem im Transfer von Kenntnissen zwischen den beteiligten Ländern und in der Reduzierung des dauerhaften Abflusses von Wissen und Kenntnissen aus Entwicklungsländern. Mit anderen Worten: der Austausch von Wissen zwischen dem Norden und dem Süden oder dem Süden und dem Norden soll hiermit verstärkt und der für viele Länder in der Tat sehr bedrohliche „brain drain“ vermindert werden. Statt zu „brain drain“ soll es so zu „brain circulation“ kommen. Das klingt doch gut, oder? Dann würde es nicht mehr Verlierer-Länder auf der einen („brain drain“) und Gewinner-Länder auf der anderen Seite („brain gain“) geben, sondern alle würden von der zirkulären Wanderung profitieren. Soweit die Idee.
Die Einführung der EU Blue Card [vgl. Info am Ende], die Lockerungen in den Regelungen der Vorrangprüfung oder die Erleichterungen in der Anerkennung ausländischer Abschlüsse sind Schritte, die Hürden für eine Eingliederung in den deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern. (Dies geschieht freilich m.E. eher im Zeichen der Bekämpfung des Fachkräftemangels.) Systematische Schritte zur Schaffung der notwendigen Voraussetzungen, damit zirkuläre Wanderung für unsere internationalen Studierenden eine Realität werden könnte, fehlen noch.
Auch hierüber soll heute Nachmittag vertieft diskutiert werden.
Schluss
Ich hoffe, Sie finden in den Pausen auch Zeit, sich in Ruhe die Ausstellung „Wegbereiter des Wandels – junge Akademiker aus Afrika, Asien und Lateinamerika in Deutschland“ anschauen zu können. Diese Ausstellung ist ja sozusagen die „Patin“ für den Titel unserer heutigen Fachtagung.
Ich möchte mit einem Zitat von Dr. Jean-Marcial Bell schließen. Dr. Bell ist einer der überaus aktiven Ehemaligen der STUBE Niedersachsen. Mittlerweile ist er nach Kamerun zurückgekehrt und setzt sich dort für Umwelt- und Menschenrechtsfragen ein. In seiner Rede anlässlich der Eröffnung der eben angesprochenen Ausstellung hat er folgendes gesagt: „Im Unterschied zu den an der Universität vermittelten „hard skills“ – vor allem in Form von Fachwissen – bekommt man bei STUBE „soft skills“ wie Toleranz, Verständnis, aber auch Fleiß, Struktur und Organisation. Es entsteht ein anderer Blick auf das eigene Herkunftsland und damit ein neues Bewusstsein dafür, was das Herkunftsland ausmacht und welche Veränderungen die Studierenden mit einläuten möchten.“
Ich bin sicher, dass internationale Studierende tatsächlich „WegbereiterInnen des Wandels“ sind – für ihre Herkunftsländer, aber natürlich auch für Deutschland! Sie werden im Rahmen dieser Fachtagung vieles austauschen und diskutieren können – und ich freue mich schon jetzt auf die Ergebnisse!
Ich wünsche Ihnen eine gute Tagung und angeregte Diskussionen!