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„Worauf warten wir?“

Meditation zum Advent „Worauf warten wir?“ /Predigttext: Off. 5, 1-5
Für die Zeitung ‚Unsere Kirche‘, 11/2011 Pfn. Cornelia Füllkrug-Weitzel/ Brot für die Welt

„Und ich sah in der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß, ein Buch, beschrieben innen und außen, versiegelt mit sieben Siegeln. Und ich sah einen starken Engel, der rief mit großer Stimme: Wer ist würdig, das Buch aufzutun und seine Siegel zu brechen? Und niemand, weder im Himmel noch auf Erden noch unter der Erde, konnte das Buch auftun und hineinsehen. Und ich weinte sehr, weil niemand für würdig befunden wurde, das Buch aufzutun und hineinzusehen. Und einer von den Ältesten spricht zu mir: Weine nicht! Siehe, es hat überwunden der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids, aufzutun das Buch und seine sieben Siegel.“ [Buch der Offenbarung, Kapitel 5, Verse 1-5]

Lebkuchen, Weihnachtsmann, strahlender Lichterglanz – alles schon da lange vor Weihnachten. Konsumwünsche schon längst erfüllt. Worauf eigentlich noch warten im Advent? Auf eine Antwort auf unsere quälendsten Fragen!

Ende Oktober habe ich einen Mitarbeiter beerdigt: Herztod mit Mitte 30. Dieser Tage wird sein zweites Kind zur Welt kommen. Schon auf die medizinische Frage nach dem Warum gibt es keine Antwort. Auf die verzweifelten Fragen und Klagen der Familie erst recht nicht: Warum nur musste er so jung sterben? So vor der eigenen Zeit und der seines Kindes?

Warum dürfen Hass und Gewalt so triumphieren? Eine Frau nach der anderen erzählte mir im Ostkongo die Geschichte ihrer Vergewaltigung – durch Soldaten oder Rebellen. Egal: alle Männer nehmen sich hier das Recht, brutal zu missbrauchen. Liebevolle Söhne und Familienväter – Bestien gegenüber fremden Mädchen und Frauen, selbst Großmüttern. Grausame, schreckliche Szenen. Warum bietet keiner solcher Verrohung und Gewalt Einhalt? Als Antwort blieb mir nur, mit ihnen zu weinen.

Die verheerende Dürre in Ostafrika, unter der gegenwärtig 11 Millionen Menschen leiden, wurde seit einem Jahr vorhergesagt. Viele haben davor gewarnt, als noch Zeit gewesen wäre. Zeit, dem Verenden der Tiere und dem Hungertod von Menschen etwas entgegen zu setzen. Aber die Gebergemeinschaft hat weggeschaut. Warum? Warum liefern wir so viele Menschen weltweit und in Ostafrika dem Hungertod aus? Obwohl doch genug für alle da ist?

Warum mussten Millionen Menschen in Pakistan alles verlieren – in Fluten, die ihnen der Klimawandel unter das Haus gespült hat? Auch mit Vorhersage! Aber wen kümmert das, wenn man für 39 Euro zum Shoppen nach London fliegen kann? Wen kümmert der CO2 Ausstoß des eigenen Adventsvergnügens? Warum handeln wir nicht entsprechend unserem Wissen? So stehen wir vor den Schnäppchen, mit denen wir zur Mittäterschaft an Klimakatstrophen verführt werden.

So viele unbeantwortete Warums: “Niemand, weder im Himmel noch auf Erden noch unter der Erde, konnte das Buch auftun und hineinsehen.“ Keiner kann uns die Antwort geben, die unser Weinen beenden würde. Keiner dringt hinter die Geheimnisse des Lebens. Trotz allem Fortschritt von Medizin und Hirnforschung. Trotz Zugang zu allen Informationen im Internet. Mit diesem erschütternden Eingeständnis fängt der Predigttext an – fängt am Ende der Totentage auch der Advent an.

Und der Text endet wie der Advent mit einem allumfassenden Jubel aus allen Kehlen, aus dem nichts und niemand ausgeschlossen bleibt – vom „Himmel und auf Erden und unter der Erde und im Meer und allem, was darinnen ist.“ Dem Weihnachtsjubel darüber, dass es einen gibt, der würdig und in der Lage ist, das Buch zu öffnen! „Weine nicht! Siehe, es hat überwunden der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids, aufzutun das Buch und seine sieben Siegel.“ Dass der Tag kommt, ja schon gekommen ist, an dem das Buch, das uns endlich Antworten gibt, offen ist. Dass es darum nicht nötig ist, alle Fragen verstummen zu lassen. Dass wir uns nicht abfinden müssen mit allem Tod und Not. Dass Resignation angesichts der übermächtigen Triebkräfte der Ungerechtigkeit keine Antwort ist.

Dessen sind wir gewiss und auf ihn hoffen wir im Advent. Darüber jubeln wir schon und handeln als Jubelnde – auf die Geburt dessen hin, der uns und unserem Handeln Sinn gibt. Während nur Unsinn zu sehen ist, berufen wir uns auf das Versprechen von Sinn. Danach strecken wir uns aus. Inmitten ungelöster Überlebensfragen bereiten wir die Feier des Lebens in Fülle für Alle, der getrockneten Tränen, des Friedens auf Erden. Und darum ist die Eröffnung von „Brot für die Welt“ im Advent.